Kapitel 25 - Wie hoch der Preis auch sein mag

904 67 185
                                    


Kapitel 25

Wie hoch der Preis auch sein mag


~Sabrina~
9. Jomiko 80'024 ☼IV – Aramesia, Jeshin, Twos

Der letzte Marsch der Rebellen würde morgen beginnen. Der Rat hatte sich entschieden. Sie würden über die Hohlen Hügel wandern und sich ihren Weg durch die Waldgärten von Wyr bahnen müssen, so gefährlich das auch werden würde.
Die Waldgärten von Wyr ...
Angeblich waren sie ein Geschenk Wedas an die kindliche Göttin Cecily gewesen; ihr eigenes, buntes Labyrinth, nur für sie allein. Wehe denen, die es ohne ihr Gutheissen betraten, denn die würde sie unweigerlich in ihr Verderben treiben, genau wie ihre Irrlichter. Von denen sollte es dort, laut der Björkson-Zwillinge, so viele geben, dass es eine Plage war. Und das war noch nicht einmal alles. Dieses Labyrinth von einem Wald veränderte sich. Anscheinend wuchsen die Pflanzen der Waldgärten in unglaublicher Geschwindigkeit. Ein Baum konnte binnen einer Woche ganze zehn Meter hoch werden! Ebenso schnell gingen die Pflanzen jedoch auch wieder ein, so veränderte sich das Landschaftsbild ständig. Die Wege verschoben sich, wurden abgeschnitten, zerstört oder es bildeten sich neue.
»Aber eigentlich sollte das doch gar kein Problem sein«, meinte eben Falk zu Hänsel, während sie durch den breiten Gang auf den Ausgang des Colosseums zuhielten. Seine Wangen waren noch gerötet von dem anstrengenden Training. »Aufgrund der Nähe zur Weltenachse sind Kompasse zwar untauglich, doch wir könnten doch einfach mit der Jolly Roger und den übrigen Luftschiffen der Scopter über den Wald fliegen, dann sehen wir ja, wo wir durchmüssen.«
»Unmöglich«, brummte Hänsel. »In den Waldgärten von Wyr wächst überall Nebelbovist. Der verfluchte Pilz sprüht mit seinen Sporenso viel Dunst in die Luft, dass es ihn an windigen Tagen bis in die Wiege der Welt weht.«
»Stimmt, an manchen Morgen war es in Tempus so neblig, dass man kaum die Hand vor Augen sah«, seufzte der Hutmacher, der das Schwert, das er zum Üben genutzt hatte, einem Gardisten, der am Tor des Colosseums wache hielt, in die Hände drückte. »Uns wird wohl nichts anderes übrigbleiben, um auf die Gnade der Göttin zu hoffen.« Er streckte sich und liess den Blick über ihre dreissigköpfige Truppe wandern.
›Xilsar‹ hatten die Elfen sie getauft, was sowohl das feléenische Wort für Held, als auch für Rächer war. Ein Name, den sie alle mit Stolz trugen.
Seit einer Woche trainierten sie nun schon gemeinsam auf dem Platz der Zähne, denn der Rat hatte unterdessen einen Plan ausgeheckt, um die Schlacht um Tempus möglichst sauber und schnell über die Bühne gehen zu lassen. Das Schlüsselwort war dabei die neue Eliteeinheit der Schwarzen Armee.
Sie waren so etwas wie die Oceans 30 der Rebellen. Die, die wahnsinnig genug waren, sich mitten in die Höhle der Löwen durchzukämpfen – hinein in die Kristalltürme, wo Mile und Sabrina die Büchse der Pandora finden und zerstören sollten ... Falls sie es je soweit schaffen würden ...
»Also, ich sollte dann mal Richtung Rathaus. Drosselbart wollte sich noch mit mir unterhalten wegen der Rüstungen für euch alle. Habe ja nun die Masse von euch«, trällerte Jeremy Topper fröhlich und ging. »Sehen uns auf der Jolly Roger. Bis später!«
»Warte, ich komme mit!«, meinte Mile hastig und lächelte Sabrina noch kurz zum Abschied zu. Red, Oskar und sein pelziger Beschützer Floyd folgten ihm.
Sabrina winkte ihnen nach. Anders als ihr Bruder hatte sie entschieden, nicht mit den anderen Monarchen im Rathaus wohnen zu wollen. Stattdessen schlief sie nun wieder seit einigen Tagen auf der Jolly Roger.
Vor ein paar Tagen hatte sie ihrem Bruder von der Begegnung mit ihrer Mutter berichtet. Tränen waren geflossen und es hatte Sabrina unendlich leid getan, dass er nicht die Chance gehabt hatte und haben würde, ihre Eltern jemals wieder zu sprechen. Auch an ihm nagte es, doch Mile war nicht eifersüchtig. Stattdessen schien er es ihr zu gönnen und das war etwas, was sie wieder sehr glücklich mit ihrem Bruder sein liess. Sie konnte sich nicht ausmalen, wie sie in seiner Situation fühlen würde. Neid konnte sie nicht ausschliessen. So fehlerhaft Mile auch sein mochte, er hatte das Herz trotzdem am rechten Fleck!
»Ich gehe dann auch mal, ich muss meine Runen und Schutzzauber erneuern, bevor wir aufbrechen«, verabschiedete sich der Zauberer Dasmir, Miles Pyromantik-Lehrer, mit einer tiefen Verbeugung und verliess ihre Einheit, gefolgt von Tohock Beryn, ein Zwerg, der ganz und gar kahl war. Dem Ärmsten wuchs nicht einmal ein Bart, was äusserst ungewöhnlich war. Jeder Zwerg, der etwas auf sich hielt, trug einen, selbst die Frauen, wenn ihnen denn einer wuchs. Nur den Zwergen des Roten Bergs sprossen keine, was – das hatte Floyd Sabrina jedenfalls erzählt – damit zu tun hatte, dass sich einst ein Zwerg des Berges in Magie versucht hatte. Um seinen Bartwuchs zu beschleunigen, hatte er ein Mittelgesucht, doch bei seinen Experimenten war etwas schiefgegangen und seither wuchs den Zwergen des Roten Bergs kein Haar mehr und die gesamte restliche Spezies machte, um ihrer Bärte Willen, einen grossen Bogen um Magie.
Immer mehr löste sich ihre Gruppe auf. Rosanna und Gretel machten sich in Richtung Guerraeli-Lager, nur Hänsel blieb bei ihnen. Da seine Schwester und die Barbarentochter sich seit der Schlacht um Aramesia scheinbar gut verstanden, hing Gretel ständig bei den Guerraeli rum. So bevorzugte Hänsel, der ja ein ziemliches Sensibelchen war und wegen seiner Treue zu den Herrschern in Rosannas Fadenkreuz geraten war, lieber die Gesellschaft der Piraten.
Als Sabrina sich zu ihnen umdrehen wollte, waren die Vampire Fjore und Ann-Susanne längst in den Schatten verschwunden, genau wie die Werwölfin Jessica Frihir - Generalin Frihirs Tochter.  Dafür verabschiedete sich die Elfe Sookie mit einer höflichen Verbeugung un brach Richtung Elfenviertel auf.
Esa, Jian und Valyn - Letztereren kannten die Geschwister Beltran schon länger, da er sie schon des Öfteren hatte zusammenflicken dürfen. - waren allesamt Wiruri, die sie in Tempus begleiten würden, um im Notfall Erste Hilfe leisten zu können. Nun verbeugten sie sich alle drei höflich und gingen ebenfalls ihres Weges.
Übrig blieben Sabrina, Falk, alle sieben Rabenbrüder, die Quari Brée, Amadeus Minnet, Wolke und ... Na ja, eigentlich würde sie nun auch Peter Richtung Docks begleiten, doch der war heute nicht aufgetaucht. Schon wieder.
Falk und er hatten vor ein paar Tagen schwer gestritten.
Obwohl Sabrinas Mutter sie ermahnt hatte, niemandem von ihrer neuen Halskette zu erzählen, die mit ihr aus dem Nimbus nach Twos gelangt war, hatte sie sie Falk gezeigt. Natürlich hatte der dann auch die ganze Geschichte hören wollen und so hatte sie ihm auch Isras Vermutungen wegen seiner Mutter berichtet.
»Würde zu ihr passen«, hatte der Pirat geknurrt. »Sie wollte uns ja schon zu Lebzeiten verlassen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie das nach ihrem Tod noch zu Ende geführt hätte. Und ich Idiot bin beinahe mein ganzes bisheriges Leben herumgereist, um in versunkenen Wracks nach urzeitlichen Wunderlampen zu tauchen, die Grotten unentdeckter Inseln nach dem Heiligen Gral auszukundschaften oder Seeungeheuer zu töten, weil ich hoffte, unter den Schätzen, die sie bewachten, den Stein der Weisen zu finden. Doch selbst wenn ich etwas gefunden hätte, was die Toten wiederauferstehen lassen könnte, wäre Mum tot geblieben.«
»Wir wissen ja nicht, was wirklich mit ihr geschehen ist«, hatte sie versucht, ihn zu beruhigen. »Vielleicht irrt sie noch immer im Nimbus umher.«
Dennoch hatte Falk seinem Bruder von dieser Möglichkeit erzählt, obwohl sie die Wahrheit nicht kannten.
»Als ob ich dir das glauben würde!«, hatte sie Peter über das ganze Oberdeck brüllen hören. »Lügner! Glaub nur nicht, dass nur weil du nun unter dem Wappen der Herrscher segelst, du so tun könntest, als wärst du einer von den Guten! Ich werde schon dafür sorgen, dass kein einziger Rebell je vergessen wird, wer du warst!«
Und leider versuchte er das wirklich.
Es war so schlimm geworden, dass sie die Jolly Roger nicht mehr direkt am Kai liegenlassen konnten, da der Haufen Wutbürger, die dort zu Protesten aufmarschierten, ihnen ansonsten über den Landgang getrampelt und randaliert hätten. Stattdessen hatte die Galeone nun auf dem Onwasee geankert.
Oh ja, Peter leistete ganze Arbeit, Falk nicht vergessen zu lassen, was seine Vergehen gewesen waren. Es gab genug Leute, die ihre Geliebten an die Inker verloren hatten oder selbst deren Opfer geworden waren. »Inker!«, »Muttermörder!« und »Blutsverräter!«, brüllten sie und warfen mit Abfall, sobald einer der Seeleute auch nur die Nase aus dem Niedergang reckte.
Auch jetzt, als sie in ihrer grossen Gruppe zu den Docks hinabliefen, wurde das Gejohle laut und Falk liess Sabrinas Hand los. Ohne mit der Wimper zu zucken, ergriff sie sie wieder und hielt sie fest.
»Die Trottel können mir alle den Buckel runterrutschen«, schnaubte sie und streckte den Demonstranten die Zunge raus, die bei ihrem Anblick lieber schnell verstummten. Irrte sie sich oder waren es heute weniger? Auch Peter war widererwarten nicht zu entdecken ...
Unterdessen hatten sie den Kai erreicht. Möwen stoben auf, als die Xilsar über die Bretter des Piers liefen.
»Langsam treibt es Peter wirklich zu weit«, hörte Sabrina Nimmertiger hinter sich zuraunen.
»Vielleicht sollten wir mal runter aufs Infanteriedeck. Mal sehen, wie treffsicher die Kanonen sind«, gluckste Nachtauge mit diesem Unterton in der Stimme, der Sabrina zweifeln liess, ob er es nicht doch ernst meinte.
So schien es auch Nimmertiger zu ergehen, denn er stiess seinen jüngeren Bruder grob vor die Brust. »Hör bloss auf mit dem Scheiss, Nachtauge. Reiss dich zusammen, wir sind nicht mehr auf Nimmerland!«
»Ach komm, er hätte eine Abreibung verdient«, rief Nachtauge.
Nimmertiger seufzte. »Lass gut sein.«
»Bessere Idee!«, lachte sein schwarzäugiger Bruder auf. »Ich könnte mich heute Nacht nicht mit euch einschliessen lassen. Peter wohnt noch immer in dem Haus, wo wir uns eingerichtet hatten. Und dann würde ich ihm fett auf den Kopf kacken!«
»Spinnst du?«, zischte Nimmertiger. »Hast du etwa schon vergessen, was ich euch erst gestern wieder einzutrichtern versucht habe? Wir dürfen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen! Nicht mit diesem verdammten Fluch!«
Der drittälteste der Rabenbrüder stöhnte auf. »Nun übertreibst du, Nimmertiger.«
»Warum eigentlich?«, fragte Sabrina und drehte sich zu ihren Cousins um. »Warum ist es so ein Problem, dass ihr verflucht seid?«
»Nichts ist!«, fauchte Nachtauge. »Was geht dich das überhaupt an?«
Da fuhr Nimmertiger zu ihm herum, packte ihn und stiess ihn in den See. Es platschte laut und gleich darauf erklang prustendes, spuckendes Geschimpfe.
Die einstigen Verlorenen lachten und Falk warf dem durchnässten Rabenjungen ein Tau zu, an dem er von Hänsel wieder hochgezogen wurde. Nur Nimmertiger stand teilnahmslos daneben, wandte sich dann um und stapfte grimmig weiter.
Seit Peter damit begonnen hatte, die Proteste gegen die Piraten anzuzetteln, kamen auch die Verlorenen mehr und mehr unter die Räder. Dies war auch der Grund, wieso sie vom Stadthaus zurück auf die Jolly Roger hatten ziehen müssen, um Peters Unwesen vor ihrer Haustür zu entkommen. Auch das war nämlich auf dessen Mist gewachsen, denn er hatte die übrigen Nimmerländer, vor allem die Verlorenen Jungs, mit auf seine Seite ziehen wollen. Doch Nimmertiger hatte das verhindert. Allein das war schon ungewöhnlich, schliesslich war man es von dem Ältesten der Rabenbrüder gewohnt, dass er sich lieber zurücklehnte und das Chaos genoss, doch viel seltsamer war nun dieser Vorfall.
Deshalb ging Sabrina ihm nach. »Wofür war das denn?«
»Nicht für dich, Cousine«, schnaubte der Verfluchte, ohne sie anzublicken.
»Und wofür dann?«, liess sie sich nicht beirren.
Nimmertiger zuckte die Schultern. »Wir sind nicht mehr auf Nimmerland, wir sind nun bei den Rebellen. Morgen werden wir als Soldaten der Schwarzen Armee mitmarschieren, wir können uns dieses kindische Verhalten nicht mehr erlauben.«
Das erstaunte Sabrina. »Gute Einstellung. Was hat dich denn so ... umdenken lassen?«
Nun wandte er ihr doch den Kopf zu. »Ich will nicht, dass sie sterben. Mit einer Waffe umgehen zu können, sichert in der Schlacht längst nicht das Überleben.«
Sie nickte. »Hast du denn schon in einer gekämpft?«
Er schüttelte den Kopf. »Aber ich wurde dafür ausgebildet.«
»Sie doch auch, oder nicht?«, hakte Sabrina nach. Jeder einzelne ihrer Cousins, selbst der kränkliche Nebelfinger, waren von Geburt an gedrillt worden. Sie konnten alle erstaunlich gut mit unterschiedlichen Waffen umgehen, das hatten sie auch während des Trainings auf dem Platz der Zähne unter Beweis gestellt. Selbst Gretel war beeindruckt gewesen.
»Schon, nur nicht wie ich«, knurrte Nimmertiger.
Sie musterte ihn. »Dann ... hat Tobias dich unterrichtet?« Sie konnte beobachten, wie Nimmertigers Gelassenheit verschwand.
»Hau ab, Cousine, sonst darf dein Pirat dich gleich auch noch aus dem Wasser ziehen.«

Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWhere stories live. Discover now