Kapitel 11 - Das Attentat von LaRuh

1.2K 78 108
                                    


Kapitel 11

Das Attentat von LaRuh


~Sabrina~
7. Cecily 80'024 ☼IV - LaRuh, Turdidae, Twos

Eine magische Fiedel, die von zwei kleinen Messingflügeln in der Luft gehalten wurde, war ihnen gefolgt. Ihr Bogen, geführt von unsichtbarer Hand, wiegte sich über den Saiten. Er entlockte ihnen eine leise Melodie, die sich mit ihnen von Raum zu Raum schlich wie eine Katze und immer wenn sie innehielten, weil sich ihr Gespräch mit dem Rebellenkönig vertieft hatte oder sie die wundervolle Zwergen-Architektur bewunderten, schmiegte sie sich an sie und hüllte sie in Ruhe.
König Deron Drosselbart I. sprach entweder weise und ernst oder um seinem wohlwollenden Humor zu frönen, was Konversationen wunderbar tiefsinnig und gleichzeitig leicht und ungezwungen werden liess. Wenn er redete, tat er das nicht nur mit dem Mund, seine Augen strahlten, seine Stirn wellte sich in Runzeln und tiefe Lachfalten machten sein Gesicht lebendig.
Was ihn aber noch wunderbarer machte, war seine Art zuzuhören. Er war der Inbegriff dieser Kunst, denn er tat es ehrlich und ohne Hetzen. Er unterbrach nie, stiess nur ab und zu ein erstauntes »Ach«, grübelndes »Hmm« oder belustigtes »Heh« aus. Manchmal schmunzelte er dann oder er verdrehte die Augen, nickte, schüttelte den Kopf. - Er gab einem das Gefühl, dass wichtig war, was man ihm erzählte, dass er aufmerksam war, sich interessierte und es nicht vergessen würde.
Normalerweise fand Sabrina es schwer erträglich, wenn Menschen ein so ausgeprägtes Charisma hatten, selbst wenn sie sogar zu ihr nett waren. Irgendwie verunsicherte es sie, vermutlich weil sich Freundlichkeit ihr gegenüber schon zu oft in Häme verwandelt hatte.
Bei Drosselbart kam ihr aber nicht einmal die Idee zu zweifeln.
»Wie ist eure Verfassung, Kinder?«, fragte der König, während sie zu dritt - wenn auch von einer Handvoll Gardisten eskortiert, die sich jedoch in weitem Abstand hielten, darunter auch Eril und Taami - durch einen Flur gingen, der zur linken Seite aus einer weiten Fensterfront Ausblick auf die tanzenden Lichter des Stadtfestes bot. Er hatte ihnen irgendwann auf seiner Führung durch die Kongressburg LaRuhs das Du angeboten, wenn auch nur solange sie unter sich waren. »Ich hörte, eure ersten Tage in Twos waren nicht gerade von Cecily gesegnet?«
»Es war schon recht heftig«, meinte Mile und nickte ernst. »Sabrina und ich sind zwar vermutlich schon mehr mit dem Tod konfrontiert worden, als es für viele andere Modi unseres Alters üblich ist, doch es war schon... brutal. Ich denke aber, dass ich das verarbeiten kann. Und ich glaube, dass wir eigentlich sogar viel Glück hatten, sonst stünden wir nicht einmal mehr hier.«
Drosselbart nickte. »Da hast du vermutlich Recht, Mile. Möge die Göttin mir verzeihen.« Er lächelte ein wenig und legte seine grosse, mit Siegelringen bestückte Hand auf die Schulter des Lichterlords. »Es fängt schon an, seht ihr? Schon spricht der Junge weiser als der Greis.« Schnell wurde er wieder ernst und musterte nun Sabrina. »Und du, Sabrina? Wie geht es dir?«
Sabrina, der das Du sehr recht war, da es sich für sie nur schon komisch anhörte, wenn sie von Kindern gesiezt wurde, antwortete ihm bitter: »Wenn du alles weisst, wirst du verstehen, wenn ich sage, dass es bis auf die Knochen verstörend, zum Tode ängstigend und ganz und gar schrecklich war. Und es geht mir damit... naja... Es geht mir nicht besonders gut.« Sie holte tief Luft. Es tat gut, das loswerden zu können und viel mehr, dass es tatsächlich nicht auf taube Ohren stiess.
»Ja, ja...«, murmelte der König und kratzte sich an seinem Kinnbart, während seine buschigen Brauen mitfühlend Zusammenzogen. »Ich weiss, wovon du sprichst, ich habe meine Lauscher davon berichten hören. Es tut mir von Herzen leid, was dir widerfahren ist, Sabrina.« Auch ihr legte er eine Hand auf die Schulter und sah sie eindringlich an. Die Fiedel über ihnen schwang ihre Melodie in die Höhe. »In Zeiten wie diesen ist es schwierig, ein Versprechen zu geben, doch ich will es feierlich versuchen.« Er löste sich von ihr und schob eine Hand unter seinen Königsmantel und zog ein schweres, wunderschön verziertes Schwert mit dem weiten Griff eines Beidhänders aus der Scheide seines Gürtels. Er legte den Zeigefinger auf eine der Schneiden und führ sacht darüber, was genügte um einen Tropfen Tinte aus seinem Fleisch treten zu lassen. »Hiermit verspreche ich«, verkündete er, während er den blutenden Finger auf Sabrinas rechte Handfläche drückte, »dass ich alles in meiner Kraft stehende tun werde, um Sabrina Beltran vor Pein und Harm zu bewahren.« Er schloss ihre Finger über der Tinte zur Faust und legte seine Hände darum. »Dieses Versprechen soll gelten, so lange ich lebe!«
Einen Moment standen sie so da. Ihre kleine, weisse Hand in seinen, wie eine Maus in einem warmen Nest, und erst als die volle Wirkung seines Versprechens entfaltet war, vertrieb ein lachfaltiges Lächeln die eindringliche Strenge aus seinem Gesicht. »Ich hoffe, das hilft dir ein wenig.«
»Tut es«, hörte sie sich selbst sagen und erstaunt stellte sie fest, dass es stimmte. Sie öffnete die Faust und betrachtete die Tinte, die sich in kräftigem Schwarz bereits in den Linien ihrer Handfläche absetzte. Und aus irgendeinem Grund liess sie das nicht mehr so einsam fühlen. Ein Schutzversprechen war über sie ausgesprochen. Fast väterlich. Nein, es war nicht dasselbe, wie wenn Papa sich über sie gebeugt, ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt und geflüstert hatte, dass kein Alptraum ihr etwas tun konnte, da er auf sie aufpasste, nicht wie Papa. Aber väterlich und das war tröstend. »Danke«, flüsterte sie gerührt mit rauer Stimme.
»Dasselbe gilt für dich, Junge!« Nun schnitt der König sich in den anderen Finger, sagte die Worte auf, die so feierlich klangen, dass sie fast schon heilig wirkten, und drückte den Tropfen Tintenblut in Miles Linke.
Frisch gesegnet schlenderten sie weiter durch die Kongressburg und bestaunten renaissancetypische Malereien, die renissanceuntypische und ziemlich morbide Darstellungen von Twos' Götter zeigten. Besonders eine stach Sabrina ins Auge: Auf der linken Seite des Kunstwerks, das die ganze Wand bedeckte, taumelte eine wunderschöne, junge Frau rückwärts in einen dunklen Ozean. Ihre Augen waren tiefblau, die Haut olivfarben und das dunkle Haar so lang, dass es bis ins Meer wallte, mit dessen Wellen es zu verschmelzen schien. Eine ihrer Hände streckte sie klagend einem dunklen Himmel entgegen, während sie mit der anderen einen gezackten, weissen Gegenstand an ihre Brust drückte. Ihr qualvoller Blick war auf das Ufer geheftet.
Auf der rechten Seite stand an einem verschneiten Strand eine Kreatur, die nur zum Teil menschlich war. Dieser Teil hatte den kurvigen Körper einer Frau, der in einer hauchdünnen, weissen Toga steckte. Doch auf dem schlanken Hals sass der gehörnte Kopf eines Rinds. Ein Schwert steckte neben dem Wesen in Sand und Schnee, doch die Gehörnte hatte sich einer anderen Waffe bedient: Sie hielt ein kleines Messer in der Hand, mit dem sie eben das Herz eines Babys durchbohrt hatte, das sie im anderen Arm hielt. Das Blut, das dem Säugling aus der Wunde in seiner Brust tropfte, war metallen wie Quecksilber.
Über dem Ufer, in luftiger Höhe der schwarzen Nacht, trug derweil eine riesenhafte Motte einen in Schwarz gekleideten Mann davon, der seinerseits flehend die Hände nach der Frau ausstreckte, die dunklen Mandelaugen vor Schmerz und Trauer weit aufgerissen.
Unterdessen erzählte Drosselbart ihnen ein wenig über LaRuhs Erbauung durch die Zwerge, die damals fast den ganzen Kontinenten hatten durchqueren müssen, über die Erfolge, die Grenzen Turdidaes zu halten und dass der Rat der Rebellen schon seit zwei Jahrhunderten Pläne schmiedete, für die es endlich Zeit war, umgesetzt zu werden.
»Und was«, begann Mile eine Frage zu stellen, deren Antwort Sabrina eigentlich gar nicht hören wollte, »werden wir dabei für eine Rolle spielen?«
Der König hob die Brauen. »Was möchtest du denn für eine Rolle haben?«
Mile zuckte mit den Schultern. »Ich... weiss es nicht. Eine, der ich gewachsen bin?«
»Was?!« Sabrina glaubte nicht recht zu hören. »Gar keine Rolle werden wir übernehmen. Ich nicht und du auch nicht, Mile. Wir sind nicht von hier, von Twos, wir sind aus Modo! Wir sind nicht dafür gemacht, in Schlachten zu kämpfen oder so was.«
»Das ist in Ordnung«, versuchte Deron Drosselbart sie zu beschwichtigen. »Nur denke ich, dass du dich und deinen Bruder schlecht einschätzt. Ihr seid zwar in Modo geboren, doch ihr gehört hierher. Ich verstehe, dass dir das alles Angst macht und niemand wird dich jemals zu irgendetwas zwingen. Doch wenn du eines Tages erwachst und merkst, dass dir vielleicht doch etwas an deinem Schicksal und dem Schicksal dieser Welt liegt, darfst du jederzeit die Rolle einnehmen, die dir zusteht und für die du eines Tages mehr als gewachsen sein wird.«
Gern hätte Sabrina ihm widersprochen, gesagt dass sie wüsste, dass dieser Tag niemals kommen würde, doch sie wollte nicht wie eine trotzige Göre auf den Rebellenkönig wirken. Deshalb nickte sie nur und antwortete: »Tut mir leid, ich will keine Besetzung in eurem Spiel.«
Drosselbart lächelte nur. »Lass es mich wissen, solltest du deine Meinung ändern.« Er richtete sich auf und straffte die Schultern unter dem Mantel. »Morgen würde ich euch beiden gerne bei einer Sitzung des Rates begrüssen.« Wohlwollend wandte er sich an Sabrina. »Du bitte auch, denn das ein oder andere Traktandum wird auch dich betreffen.«
Sabrina zuckte mit den Schultern. »So lange ich nicht in Schlachten kämpfen muss...«
Drosselbarts Lachen hätte den Weihnachtsmann vor Neid erblassen lassen. »Nun, ich will euch nicht für die ganze Feier beschlagnahmen, schliesslich findet sie euch zu Ehren statt. Leider muss ich mich noch um einiges Kümmern. Darunter ein Entscheid, wie mit einer gewissen Roten Deserteurin zu verfahren ist.« Er zwinkerte Mile zu und lächelte Sabrina an, verbeugte sich so tief, dass ihm beinahe die Krone vom Haupt rutschte, dann drehte er sich um und ging, gefolgt von den Wachen. Nur Taami und Eril blieben.
»Ich gehe rasch mit ihm, vielleicht kann ich ja was für Red rausschlagen«, meinte Mile und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Sehen uns an der Party!«, rief er ihr noch zu, dann war er Drosselbart auf den Fersen auch schon um die Ecke verschwunden.
Sabrina seufzte und lehnte sich gegen die Wand. »Haut nur ab«, murmelte sie in ihren nicht vorhandenen Bart.
»Und?«, fragte da auf einmal ein fremdartiger Akzent neben ihr. »Willst du wieder zurück zum Fest?«
Sie blickte auf. »Ach Eril...« Den hatte sie ja ganz vergessen! Sie seufzte wieder und rieb sich über die Stirn. »Lieber nicht. Was soll ich denn auf so einem Fest?«
»Da gäbe es einiges«, meinte Taami Sadaf, die sich zu ihnen gesellte. »Plaudern, essen, der Musik lauschen oder tanzen?«
Sabrina beobachtete die Fiedel, die noch immer fröhlich vor sich  hin musizierend im Gewölbe umherflatterte. »Ich kann nicht tanzen.«
»Da sind wir schon zu zweit.« Eril lehnte seinen Draconauten Speer an die Wand, schritt in elfentypischer Art um sie herum und bot ihr eine Hand an. »Mylady?«
Sabrina schnaubte. »Nö-hö! Kannst du knicken!«
Da breitete sich ein freches Lächeln auf Erils Gesicht aus. »Mylady!«, wiederholte er, dieses Mal dringlicher.
»Ich kenne doch die Schritte eurer twosischen Tänze nicht!«
Taami lachte. »So schwer sind die nicht.«
»Ich zeige es dir!« Nun packte er sie einfach am Arm und zog sie in die Mitte des Raums.
Sabrina quengelte, doch die beiden Offiziere lachten nur.
»Zeig ihr den Gall'ibas!«, meinte Taami, die hierbei eindeutig mehr Spass hatte.
»Der einfachste Tanz, den sowohl Reich und Arm, Zwerg, Elf, Mensch und ich glaube selbst die Oger tanzen«, erklärte der Offizier ihr, während er sie in Position brachte; seitlich stehend, ihre linke Hand erhoben und locker geöffnet.
»Was bedeutet, dass selbst das spiessigste Volk ganz Twos', die Rastaban, ihn tanzen dürfen«, stichelte die Kriegerin und grinste Eril an, der nur die Mandelaugen verdrehte.
Er stellte sich neben sie, blickte jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Er hob ebenfalls eine Hand und legte seine Fingerspitzen gegen ihre. »Jetzt immer drei Schritte vor, dann nach aussen lehnen, drehen und wieder von vorn. Die Fingerspitzen immer aneinander halten.«
Taami Sadaf gab der Fiedel über ihnen ein Zeichen, woraufhin die sofort den Takt änderte.

Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWhere stories live. Discover now