Kapitel 38 - Ein Goldstück für deine Gedanken

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Kapitel 38

Ein Goldstück für deine Gedanken


~Sabrina~
3. Junaid 80'024 ☼IV – Tempus, Wiege der Welt, Twos

Eril war sturzbetrunken. Die Spitzohren des Elfen glühten und seine verquollenen Mandelaugen blickten stumpf. Er hatte leicht getorkelt, während er sie in ein kleines Wachhäuschen nicht weit vom Hochsicherheitstrakt brachte.
»Ist das so was wie ein Aufenthaltsort für die Soldaten? Sieht nicht aus wie eine Folterkammer«, stellte sie fest, nachdem er sie auf eine Bank an einem rustikalen Tisch gedrückt und sie am Knöchel an dem Mobiliar festgekettet hatte. Sie gab sich Mühe, möglichst neutral und ruhig zu klingen.
»Dachtest du, ich spanne dich sofort auf eine Streckbank?«, brummte Eril und zog eine Schale voll geschnittener Brotscheiben und einen wohl zuvor schon vorbereiteten Krug Wasser aus einem an der Wand stehenden Sekretär.
Sabrina versuchte, das Brot nicht allzu sehr anzuschmachten, das so verführerisch aussah.
Er reichte ihr sein wertvolles Gut. »Jetzt greif zu!«
Sabrinas zögerte, doch schliesslich gab sie nach trank gierig aus dem Krug, nahm sich dann drei Scheiben auf einmal und biss herzhaft hinein.
»Guten Appetit«, brummte Eril und gönnte sich seinerseits einen Schluck aus einem Fläschchen, das er aus einer Gürtelschlaufe befreite. Die Substanz roch scharf und süsslich. Zwergenschnaps?
»Du trinkst neuerdings?«, fragte sie spitz und spuckte Brösel.
Eril schenkte ihr einen düsteren Blick.
»Hab die Fahne gerochen«, erklärte sie matt.
Eril sprang auf und zog die Pistole. Ihr Lauf schwebte genau über ihren Augen. »Nur weil ich dir jämmerlichen Haufen Essen und Trinken gegeben habe, anstatt dir die Nägel aus den Fingern zu ziehen, heisst das nicht, dass du frech werden solltest. Die Rebellen sind gefallen, du bist eine Gefangene! Verstanden?«
Sabrina schluckte und nickte. Sie hatte Eril noch nie so erlebt, so unvorhersehbar aufbrausend. Nicht einmal nach Taamis Tod. Sie zu verlieren, hatte ihn wahrlich zerbrochen.
»Schön!« Er setzte sich, hielt das Schwert aber in Griffweite. Wieder nahm er einen kräftigen Schluck Schnaps, lehnte sich lässig breitbeinig zurück. »Du hast dich verändert«, brummte er und es klang beinahe anerkennend.
Grimmig trank Sabrina einen Schluck Wasser. »Du auch. Ziemlich. Die Haare sind auch länger.«
Automatisch griff der Elf sich an den Hinterkopf, wo er das braune Haar zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden hatte. Sein Blick fiel ins Leere, seine Lider flatterten und erst glaubte Sabrina, er würde zu weinen beginnen, doch als er sich ihr wieder zuwandte, waren seine Züge hart wie Stein. »Sie nennen mich hier die Krähe, weisst du? Ein falscher Rabe. Früher Verbündeter der Herrscher, nun ein Scherge der Antagonisten. Ja, ich bin anders. Du bist der Grund dafür, das ist dein Verschulden.«
»Du gibst mir noch immer die Schuld dafür«, murmelte sie und auf einmal lag das Brot ihr schwer im Magen. Taami ...
Eril sagte nichts, kippte sich nur das letzte bisschen Schnaps aus dem Fläschchen in den Rachen. Er hustete.
Unauffällig griff sie erneut in den Brotkorb und versteckte ihre Beute in den Hosentaschen. Beiläufig fragte sie: »Bist du deshalb hierhergekommen? Zu den Antagonisten? Um dich zu rächen?«
Er lachte etwas zu heftig und wischte sich unkoordiniert übers Gesicht. »Auch, ja.« Er wog den Kopf hin und her, musste sich dabei an der Tischkante festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »An dir, am Grafen, dem beschissenen Schicksal ...«
Sabrina blickte auf die Spiegel, die an seiner grauen Rüstung baumelten. »Was ist passiert, Eril? Du warst doch so ein strenger Fatuit ...«
»Es war nicht ihr Schicksal, zu sterben«, flüsterte Eril da auf einmal. »Genauso wie es nie das meine war, dir zu begegnen, Sabrina.«
Sie verstand nicht. »Was meinst du?«
Der Abtrünnige schnaubte, sein Lamiertattoo kreiselte vor Erregung um sein Auge, dann zitierte er: »Der Freunde drei, schnell werden zwei. Ein Sturz, der droht mit schnellem Tod.«
Sabrina lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Woher ... kennst du die Prophezeiung?!«
»Verstehst du, was diese Zeile bedeutet?«, stöhnte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. Fahrig fuhr sich übers Gesicht. »Der Freunde drei, Sabrina. Aber wir waren zu viert. Der Hutmacher, Hänsel, Taami und ich ...«
»Taami war Häretikerin, sie ...«
»Nein«, er schüttelte den Kopf. »Mich kannst du überall streichen, Sabrina. Ich bin ein Joker, ich bin das fünfte Ass im Ärmel des Schicksals.«
Auf einmal sprudelte es nur so aus ihm heraus. »Ein anderer Draconaut hätte euch vom Delánsee abholen sollen, doch ich habe die Schicht mit ihm getauscht, damit ich es sein würde. Dann habe ich das Attentat inszeniert, damit du mir vertraust, damit du mich wählen würdest, wenn du zu den Verlorenen und nach Dom Askur reisen würdest. Und ich habe Taami mit ins Boot geholt, da ich egoistisch war. Hätte ich doch nur auf meine Befehle gehört!« Rasselnd holte er Luft, er war nicht mehr zu bremsen. »Es hätte euch nur ein Rastaban auf Nimmerland bringen sollen. Dieser wäre dann auf der Insel tödlich gestürzt, damit du und Falk diesen Handel schliesst und beginnt, zusammenzuarbeiten.
Es war völlig egal, wer der Draconaut sein würde, es hätte jeder sein können. Somit spielte es auch keine Rolle, dass Taami Spiegel an sich trug, es ging nicht um sie, es ging um irgendjemanden. Jeder Drache, jeder Rastaban oder Lamier. Doch wegen mir war sie es, weil ich es so eingefädelt hatte. Doch ich war arrogant genug, zu glauben, dass ich das Schicksalsnetz austricksen könnte.
Da ich von dem prophezeiten Sturz wusste, konnte ich ihn verhindern. Ich achtete auf meine Schritte und Taami fing ich auf, bevor sie sich das Genick brechen konnte. Doch ich habe das Schicksal unterschätzt, es findet immer einen Weg, sich durchzusetzen. Taami war mit einem Mal krank, das hatte ich nicht erwartet ... Götter, wäre ich nur nicht so dumm gewesen.«
Sabrina hatte Mühe, ihm zu folgen. »Soll das heissen ... du bist ein Trickster?«
Nun lachte er auf. Ein bitterböses Lachen. »Ich wünschte, ich wäre einer!«
Das verwirrte sie nur noch mehr. »Woher ... weisst du dann diese Dinge? Hat ... Mondkind mit dir gesprochen? Hat sie dir die Prophezeiung verraten?«
Er lachte freudlos. »Du weisst nichts, Sabrina, gar nichts ...«
Verärgert warf sie die Hände in die Luft. »Wie kannst du mir dann die Schuld geben, wenn du so allwissend bist? Du bist so ein Arschloch! Du bist selbst an allem schuld! Taamis Tod war meine Verantwortung, ja, aber ich habe sie nicht getötet. Genauso wenig habe ich dir gesagt, du sollst dich den Antagonisten anzuschliessen. Es war deine eigene Entscheidung, dich vom Grafen abzuwenden.« Sie schmeckte Eisen auf der Zunge. »Ich bin dein Sündenbock für all die Scheisse, die dir passiert und die du gebaut hast.«
Mit einem Satz sprang er auf, holte aus und schlug ihr mit so einer Wucht ins Gesicht, dass sie von der Bank fiel. Ihr angeketteter Fuss verdrehte sich schmerzhaft.
»Du hast ja keine Ahnung, wovon du sprichst!« Als er begann, auf sie einzutreten, krümmte sie sich zusammen, zog den Kopf ein und hob die Arme in den Nacken. Er traf sie im Rücken, am Schienbein, an der Schulter und der Stirn, bis sie Sternchen sah.
Irgendwann sank er wimmernd wie ein Kind neben ihr auf den staubigen Boden.
Sabrina hustete. Alles drehte sich, doch sie schaffte es, sich aufzusetzen. Nun tat er ihr kein bisschen mehr leid. Sie spuckte ihm rötlichen Speichel vor die Füsse. »Was würde Taami sagen, könnte sie dich so sehen, hmm?«
Eril schluchzte. »Du hättest mich einfach mit ihr weiterziehen lassen sollen. Dann wäre sie noch am Leben!«
»Fahr zur Hölle, Eril. Ich bin nicht wegen dir hier. Ich bin hier, weil ich Verantwortung übernommen habe. Man kann mich für viele Tode schuldig sprechen, aber nicht für den der Offizierin Taami Sadaf.«
Einen Moment verharrte er, dann griff er sich langsam in den Kragen seines Gambesons und zog eine Halskette daraus hervor, die sie noch nie an ihm gesehen hatte. Der Anhänger hatte die Form einer Kapsel und erinnerte Sabrina an die der Tabletten, die sie einst vermeintlich hatte nehmen müssen. Wie ihre ›Medizin‹ liess auch sie sich aufschrauben. Als Eril den Deckel löste, brach ein goldenes Glimmen über den Rand.
»Was ... ist das?«, hustete sie, doch als die winzige Kreatur aus ihrem Behältnis herausstieg, brauchte er ihr nicht mehr zu antworten.
In einem ersten, verwirrten Moment glaubte Sabrina, Naseweis vor sich zu sehen, doch dafür war das Feenwesen zu klein. Es war nicht mehr als ein Würmchen, nur einen Fingernagel gross. Ausserdem war Peters letzter Wunsch doch verwirkt ...
Als sie de Erkenntnis traf, sank Sabrina in sich zusammen. »Eril, ist das ...«
Sein Weinen wurde so bitterlich, dass Sabrina keinen Zweifel hatte.
»Sie war schwanger«, flüsterte Eril. »Es war kein Bronzefieber. Es war diese scheiss Göttin, diese verdammte Moja und ihre Eifersucht.«
Nun kamen auch Sabrina die Tränen. Im Geiste konnte sie Wendy vor sich sehen. »... Mütter sind aus diesem Grund auf Nimmerland nicht erlaubt ...«
»Wobei ich glaube, dass es nicht einmal auf Mojas Mist gewachsen ist, Taami schwanger werden zu lassen und sie dann samt dem Kind umzubringen. Ich könnte wetten, dass es die Spinne war, die das veranlasst hat. Vermutlich wollte sie mich bestrafen, mir eine Lehre erteilen ...«
»Deshalb hast du die Rastaban verlassen. Du wolltest dem Schicksal nicht mehr dienen«, schloss Sabrina, noch immer zu tiefst erschüttert. »Aber Eril, wieso bist du dann noch hier? Warum nimmst du nicht deine Fee und gehst irgendwohin, wo du Frieden finden kannst? Du hast drei Wünsche frei. Fang ein neues Leben an!«
Doch Erylion Dolorkane hörte ihr gar nicht mehr richtig zu. Sein Blick war auf ihre Brust geheftet und als sie an sich herabsah, erblickte sie ihre Halsketten. Nebelfingers geliehener Mutmacher baumelte unter dem ominösen Anhänger ihrer Mutter von ihrem Hals. Die mussten ihr unter Erils Schlägen aus dem Kragen gerutscht sein.
Die beiden Ketten waren das einzige, was die Grauen ihr von ihrem Besitz gelassen hatten. Vermutlich hatten sie die Anhänger für Obolusse oder derartiges gehalten.
Bevor sie ihn aufhalten konnte, schoss der Elf vor und riss ihr die Kette vom Nacken.
»Hey, nicht, das-«
»Dieser verfickte Wichser«, zischte Eril. »Dieser verdammte Hundesohn, dieses Aas! Jetzt kann er sich auf was gefasst machen!«
»Gib das zurück!«, fauchte Sabrina. »Das ist ein Geschenk meiner Mutter!«
»Wohl kaum!«, zischte Eril. Hastig rappelte er sich wieder auf und fing seine Fee, das Kind, das er nie hätte haben dürfen und das er nun niemals grossziehen würde, wie eine Fliege mit der Hand ein und sperrte sie wieder in ihre Kapsel.
»Was soll das, Eril?«, fluchte sie und versuchte sich aufzurichten, doch ihr verletzter Fuss spielte nicht mit.
Der Abtrünnige befreite sie von der Kette um ihren Knöchel, zerrte sie rücksichtslos auf die Beine und trieb sie zurück in ihre Zelle mit Cernunnos. Eine Erklärung blieb er ihr schuldig.

Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt