Kapitel 5 - Die Nacht, in der sie flohen

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Kapitel 5

Die Nacht, in der sie flohen


~Sabrina~
13. September 2019 - Wolfsbach, Deutschland, Modo

Die Geschwister rannten, bis sie das Dorf hinter sich gelassen hatten und der Asphalt von Kies abgelöst wurde. Sie liefen am Saum der Felder entlang, immer weiter die Landstrasse runter Richtung Wald, wo das Anwesen der Tallos stand.
Der Himmel hatte sich verdunkelt, schwere Wolken schoben sich auf den Sonnenuntergang zu und drohten, die schwüle Hitze bald in einem Sommergewitter zu entladen.
Wie das Unwetter unheilvoll über Wolfsbach hing, lauerten den Geschwistern die jüngsten Ereignisse im Nacken wie die Schneide eines Fallbeils.
Was war da eben geschehen?
Sabrina hatte es mit eigenen Augen gesehen, und doch zweifelte sie an ihren Sinnen. Mile hatte Malvin mit einem Arm in die Luft gestemmt, als wiege er nicht halb so viel. Ausserdem hatte er diese Hitze ausgestrahlt ... ›»Du verbrennst mich!«‹
Sie schüttelte den Kopf. War das wirklich geschehen oder hatte sie halluziniert? Es war schrecklich, dem eigenen Verstand nicht mehr trauen zu können...
»Heute ... ähm ... Heute ist ein Freitag der 13., ist dir das aufgefallen?«
Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie zusammenzuckte, als er mit ihr zu sprechen begann. Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, machte sie ein nichtssagendes »Ach.«.
Mile blieb von ihrer Wortkargheit unbeeindruckt. Wenn er nervös war, neigte er zu quasseln. »War es nun Glück, dass ich dich gefunden habe oder war es Pech, dass sie dich angegriffen haben?«
»Vermutlich beides«, murmelte sie ohne sich zu ihm umzudrehen. »Aber mehr Pech.« Noch immer spürte sie Malvins Finger um ihren Hals ... Der erste Regentropfen landete auf ihrer Stirn und sie zog die Nase kraus. Eilig schob sie sich die Kapuze über das lange, blonde Haar. Hoffentlich würden sie es nach Hause schaffen, bevor das Unwetter richtig anfing. Sie begann schneller zu laufen.
»Es tut mir übrigens echt leid, Sabrina ...«
Nun wandte sie sich ihm doch zu, drosselte ihr Tempo jedoch nicht. »Was?«
Mile wich ihrem Blick aus. Der Regen hatte bereits sein Haar durchnässt und nun klebte es ihm in rostroten Strähnen in der Stirn. »Die Sache mit Malvin wäre nie so eskaliert, wenn ich auf dich gehört und es einfach sein gelassen hätte. Es .... ist meine Schuld.«
Seine Reue rührte sie. »Schon okay. Selbst wenn du ihn im Bus nicht zurechtgewiesen hättest ... Der Typ braucht keinen Grund, um jemanden zu terrorisieren, der macht das aus Spass.«
Der Regen hatte zugenommen, Sabrina blieb stehen und kramte aus ihrem Rucksack einen Knirps hervor. Schnell spannte sie den Schirm auf und hielt ihn sich und Mile über den Kopf.
»Was hast du denn da?« Vorsichtig umfasste er ihr Handgelenk und beugte sich zu ihr herab. »Hast du dich verbrannt?«
Sie entzog sich ihm, um selbst einen Blick auf ihre Rechte zu werfen. Vor Schreck hätte sie fast den Schirm losgelassen. - An der Wurzel ihres kleinen Fingers beginnend, frass sich eine knallrote, Blasen werfende Verbrennung bis zum Handballen in ihr Gewebe. Sie zischte. »Aah!« Nun, da sie die Wunde gesehen hatte, begann es tierisch weh zu tun.
Als sie den Schrecken überwunden hatte, wurde ihr langsam klar, was das zu bedeuten hatte und ein leichter Schwindel erfasste sie. »Das warst du!«, entfuhr es ihr leise, während ihr Blick an Mile hochglitt. »Du ... hast uns ... verbrannt!«
Seine Augen, die vom selben Waldgrün wie es die ihres Vaters waren, weiteten sich. »Mir war so heiss ... Ich dachte, das wäre die Wut ...«
Sabrina schnaubte und rief sich ihren gesunden Menschenverstand in Erinnerung. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Ich ... muss mir die Hand an einer Heizung oder so was verbrannt haben.«
»Und das hast du nicht gemerkt?« Er packte sie erneut am Handgelenk, gröber als zuvor, und begann mit Nachrduck auf sie einzureden. »Das ist kein Sonnenbrand, Sabrina. Das ist eine üble Verbrennung! Vielleicht bleibt da sogar eine Narbe! Das hättest du gemerkt!«
»Brüll mich nicht an!« Sie riss sich los. »Dann ist es für dich plausibler, dass du dich in den wortwörtlichen Iron Man verwandelt hast? Das ist doch Schwachsinn!«
Mit einem Mal grinste er breit. »Aber praktisch wäre es. In der Schule müsste ich nie wieder für die Mikrowelle anstehen!«
Sie hieb mit dem Schirm nach ihm. »Bleib doch mal ernst!«
Er lächelte. »Komm schon, bleib du ernst. Vielleicht war das so ein total seltener physischer Effekt, der die Luft erhitzt hat ... oder so. Und da dran hast du dich irgendwie verbrannt. - Keine Ahnung!« Er begann mit grossen Schritten weiter zu stapfen, sodass sie fast rennen musste, um mit ihm Schritt zu halten.
»Keine Ahnung? Damit gibst du dich zufrieden?«
Er zuckte die Schultern. »Bevor wir mir ein Cape basteln und du von mir verlangst, meine Kräfte einzusetzen, um die Trump-Regierung zu stürzen, reicht mir das, ja ...«

Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWhere stories live. Discover now