Kapitel 36 - Der Gewissenlose

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Kapitel 36

Der Gewissenlose


~Sabrina~
3. Junaid 80'024 ☼IV - Tempus, Wiege der Welt, Twos

Sie hielt ihn fest, als könne er ihr jeden Moment entgleiten und fallen wie sein Bruder. Seine Tränen brannten auf ihrer Haut. Er zitterte und sie wagte nicht, sich den Schmerz vorzustellen, der ihn zum Beben brachte.
»Hätte er nur die Chance gehabt, erwachsen zu werden«, flüsterte er immer und immer wieder. »Ich wünschte, er könnte noch einmal von vorn anfangen ...«
Sie hatte versucht, ihn zu einer der Kajüten zu bringen, doch Falk hatte sich geweigert, überhaupt aufzustehen. Er sass noch immer da, wo er gestanden hatte, als ... sein Bruder sich das Leben genommen hatte.
Starkey hatte mittlerweile das Kommando übernommen und alle waren wieder an ihren Posten, doch jegliche Euphorie oder Aufregung war verschwunden. Die Schlacht hatte sie eingeholt, der Tod hatte ihnen seine klamme Hand auf die Schulter gelegt und vermutlich würde es nicht das letzte Mal an diesem Tag sein.
Falk hob seinen Kopf von ihrer Schulter. Er war noch immer weiss wie ein Laken, seine Augen waren gerötet. Erschöpft vom Weinen lehnte er sich gegen das Schanzkleid. »Wie weit ist es noch?«, knurrte er und seine Stimme verriet ihr, dass er sich gerade an einem sehr dunklen Ort befand.
Sabrina wünschte sich, die Jolly Roger befände sich noch immer friedlich auf den Wellen des Onwasees schaukelnd, weit, weit weg von Tempus, mehrere Wochen von den Kristalltürmen entfernt, doch leider war die Realität eine andere.
»Vielleicht zehn Minuten, wenn uns jetzt nichts mehr aufhält«, antwortete sie leise und legte ihre Hand auf die seine. Es war schrecklich, ihn so sehen zu müssen. Falk brannte in seiner persönlichen Hölle.
»Er war schon immer schneller als ich...« Er legte den Kopf in den Nacken und lachte, was sich anfühlte wie ein Hieb ins Gesicht. »Oh ich bin verdammt ...«
»Du weisst, dass es nicht deine Schuld ist, ja? Du kannst nichts dafür.«
»Aye«, knurrte er und wandte den Blick ab. »Das weiss ich. Wenigstens ist dieses grässliche Weib jetzt auch für immer fort!«
»Falk ...« Sie schob sich in sein Sichtfeld. »Was kann ich tun?«
Seine Kiefer mahlten. »Ich muss Dampf ablassen und zwar schnell ...«
»Dazu wirst du gleich Gelegenheit haben«, brummte Miles Stimme hinter ihr.
Sie sah zu ihm auf und zog die Brauen hoch.
»Hatte keine Zeit mehr, mich zu waschen, aber das macht nichts. Habe mir nichts ernsthaft verletzt. Haufenweise blaue Flecken, das haben die Wiruri schnell hingekriegt«, brummte ihr Bruder und kratzte an dem getrockneten Blut auf seiner Stirn.
»Was würde ich darum geben, so robust wie du zu sein«, seufzte Red, die neben ihn trat. Noch immer sass ihr der Schreck im Nacken, das sah man ihr an. »Bei Cecily, wie kann man gleichzeitig so viel Glück und Pech haben?«
»Frag das lieber den toten Hans ...« Ihr Bruder kniete sich zu ihr herab. »Wie geht es ihm?«, raunte er ihr zu.
»Wie es einem geht, wenn der Bruder vor einem Suizid begeht«, antwortete sie nüchtern. »Er ist traurig und wütend und ... vermutlich weiss er gerade selbst nicht, wohin mit seinen Gedanken.« Sie wischte sich die dünne Frostschicht von den Wangen, die ihre eigenen Tränen hinterlassen hatten und richtete sich auf.
Mile nickte betreten. »Es tut mir sehr leid, Falk. Wenn ich nicht so unaufmerksam gewesen wäre, hätte Bernard mich nicht überraschen können und ...«
»Wir hätten den Bastard töten sollen, als wir Gelegenheit hatten«, zischte der Pirat. »Ich hätte ihn umlegen sollen. Tausend Jahre Erfahrung auf See und ich habe nichts dabei gelernt.« Dann schien er sich zu besinnen und schüttelte den Kopf. »Scheisse, es war Mum! Und ... sie wollte mich tatsächlich tot sehen!«
»Sie war ein schlechter Mensch, Falk«, murmelte Sabrina und rieb ihm tröstend die Schulter. »Du kannst nichts dafür. Du hast mehr richtig gemacht, als die meisten in deiner Situation.«
»Ist das so?«, knurrte er und stemmte sich gegen die Reling, um aufzustehen. »Und trotzdem ist Peter nun tot.«

Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ