Kapitel 40 - Alles ist gut

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Kapitel 40

Alles ist gut


~Sabrina~
7. Samah 80'024 ☼IV – Tempus, Wiege der Welt, Twos

Es war friedlich.
Orangenrot geziegelte Satteldächer reckten sich der Nachmittagssonne entgegen. Hier und da kringelte sich Rauch aus einem Kamin und verlor sich in den Höhen. Auf den Strassen herrschte geschäftiges Treiben. Es drang bis zu ihr hoch, das Rufen der Marktschreier, die fröhlichen Melodien der Strassenmusiker und das Hämmern und Sägen der Handwerker, die mit dem Wiederaufbau der Stadt alle Hände voll zu tun hatten.
Ein Monat war vergangen. Ein Monat, dessen erste Hälfte noch ziemlich grässlich gewesen war, da sie die meiste Zeit damit beschäftigt gewesen waren, die Leichen einzusammeln, Scheiterhaufen zu errichten und jene zu jagen, die nach zweieinhalb Jahrhunderten noch immer nicht genug Blut vergossen hatten. Ein Monat, in dessen zweiter Hälfte auf einmal alles besser geworden war. Am ersten Tag der dritten Woche hatte es zu regnen aufgehört und als ›der Kriegsherr des Himmels, wie Mile ihn nannte, seine Schlacht beendet hatte, war auch das Kämpfen auf Tempus' Strassen vorbei. Hier und da tauchte noch immer der ein oder andere giftspuckende Kopf auf, den es abzuschlagen galt, aber diese Fälle waren mittlerweile selten.
Tempus erholte sich von der Schreckensherrschaft der Antagonisten. Langsam, aber mit unglaublicher Freude und Hoffnung.
Die Zivilbevölkerung Tempus' hatten Schlimmes durchgemacht. Vermutlich mehr als alle anderen Twosi. Sie hatten im Epizentrum des Chaos gewohnt, hatten in ständiger Angst leben, die Launen und Schikanen der Antagonisten ertragen, für die Usurpatoren buckeln und den öffentlichen Hinrichtungen beiwohnen müssen. Einige von ihnen hatten nie etwas anderes gekannt, waren in diese düstere Zeit hineingeboren worden. Vergessen hatten sie das alte Tempus jedoch nie. Zu verdanken war das jenen, die sich gegen die Tyrannei gewehrt und den Mund aufgemacht hatten. Die tapferen Widerstandskämpfer, deren kleine Rabenkritzeleien nun überall in der Stadt auftauchten und sich vermehrten, weil nun jeder zelebrieren wollte, was er nie gedurft hatte.
Sabrina seufzte. Ein Seufzer, der einerseits den Stress - genährt durch den Druck, der auf ihr lastete und die Albträume, die sie mal wieder um ihren Schlaf brachten, in ihrem Inneren abbauen sollte - und andererseits auch so etwas wie Zufriedenheit ausdrückte, denn eigentlich war endlich alles gut ... Sie lehnte sich vor, stützte die Ellbogen auf das Fenstersims und blinzelte nach oben, wo, von den Winden des Sturmglases getragen, die Jolly Roger schwebte. Von ihr führte eine Strickleiter direkt in ihr Zimmer, wo sie an den Pfosten ihres Himmelbetts mit achtfachem Seemannsknoten festgezurrt war. Der Anker steckte ein Stockwerk höher in der steinernen Palisade eines Balkons.
Eine der Sprossen scharrte über das Fensterbrett - jemand stieg die Leiter herab.
»Wo ist das Sicherheitstau?«, mahnte sie ihn, als er neben ihr ins Zimmer sprang.
»Unsinn, ich brauche kein Tau.«
Sie seufzte. »Pirat, ich weiss, du hältst das für unnötig, aber nur bis du tatsächlich fällst! Kannst ja Mile fragen, wie das war.«
»Prinzessin, ich habe es 1400 Jahre ohne überlebt, da wird es mich jetzt auch nicht umbringen«, schnurrte er, lächelte spöttisch, schob sich die Fliegerbrille auf die Stirn und schlug den niegelnagelneuen Uniformrock zurück. Er hatte sich einen neuen schneidern lassen, da sein alter unauffindbar war. Noch nie hatte der Kapitän der Jolly Roger stattlicher ausgesehen.
Seine Schrammen waren beinahe gänzlich verheilt und er strotzte wieder vor Energie und Dreistigkeit, wenn er in den letzten Wochen auch etwas in sich gekehrter wirkte und mehr Zeit für sich brauchte. In solchen Momenten zog er sich meist auf die Jolly Roger zurück und sie liess ihn, schliesslich hatte auch er viel zu verarbeiten ... Er hatte wieder begonnen, ein Logbuch zu führen, wie während seiner Abenteuer auf See. Das war ja eigentlich eine gute Sache und vermutlich seine Art, mit all diesen traumatischen Erlebnissen klarzukommen, aber sie hatte ihn auch schon einige Male mit düsterer Miene auf die Seiten starren sehen, was ihr irgendwie ein schlechtes Gefühl gab. Als sie ihn darauf angesprochen hatte, ob sie einmal in seinem Logbuch blättern dürfte, war seine Reaktion ziemlich ruppig gewesen. Das Lesen fremder Logbücher sei genauso verwerflich wie das von Gedanken. Natürlich hatte er sich gleich darauf wegen seiner Barschheit entschuldigt und sie hatten entschieden, nicht weiter darüber zu streiten. Sie hoffte nur, er würde über die Dinge sprechen, die ihn so sehr beschäftigten ... Gut, vielleicht tat er das sogar, doch dann nur mit Kyoko, dem einstigen Küken, das unterdessen zu einem stattlichen Wanderfalken herangewachsen war. Meist sass er, die kleine Haube auf dem Kopf, die er immer tragen musste, damit er nicht zu nervös wurde, wie Falk sagte, auf einer Stange in der Kapitäns Kajüte, die er zu diesem Zweck dort installiert hatte. Schon so manches Mal hatte Sabrina mitbekommen, wie der Pirat mit dem Vogel sprach. Das war zwar eine ganz niedliche Macke, aber sie würde es doch bevorzugen, wenn er auch mit ihr über die Dinge sprechen würde. Nun gut, was nicht war, konnte ja noch werden.
»Könntest du nicht trotzdem eine Sicherheitstau benutzen?«, bat sie ihn und setzte ihren besten Hundeblick auf. »Für mich?«
Er seufzte, doch seine Züge wurden weicher. Eine Antwort blieb er ihr dennoch schuldig, denn es klopfte und die Stimme ihres Bruders drang durch die Tür: »Pizzaservice. Sie 'aben Pizza bestellt, Pizza Fungini?« Sein italienischer Akzent war grässlich, er klang mehr wie ein Franzose!.
Sabrina seufzte. Immer im falschen Moment.
»Schon gut, Prinzessin, Ihr müsst Euren Pflichten nachgehen. Wir sehen uns ja später«, meinte Falk mit einem milden Lächeln.
»So leicht kommst du mir aber nicht davon!«, mahnte sie ihn, während sie zur Tür ging und den Knauf drehte.
»Olà chica!«, rief Mile und schnitt eine Grimasse.
»Das war Spanisch«, murmelte sie, unterdrückte ein Grinsen und knuffte ihn in die Seite.
»Ich bin halt ein multilingualer Pizzabote!« Mile war schrecklich aufgedreht. Die allgegenwärtige gute Laune war für ihn wie zu viel Zucker.
»Und wo ist dann die Pizza?«
»Ein multilingualer Pizzabote mit Demenz. Die Pizza hat er doch glatt vergessen!«
Sie verdrehte die Augen. »Ohjee! Ich hoffe nur, der Rest des Rates hat heute nicht auch einen Clown zum Frühstück gegessen ...«


Alte Fassung (2): Twos - Ein Märchen von Sommer und WinterWhere stories live. Discover now