Teil 1.16

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Erst als das Geschirr aufschlug und sich einige der aufprallenden und hochspringenden Scherben in ihre Haut bohrten kam sie wieder zu sich und hockte sich hin.
Mit zittrigen Händen sammelte sie die Überreste auf und ignorierte das Blut, welches aus ihrer Hand auf das Grün des Bodens tropfte.
Mit dem Handgelenk strich sie eine Strähne aus ihrem Gesicht, die sich an ihre nasse Stirn geheftet hatte.

Einige Minuten sammelte sie konzentriert die Scherben vom Boden auf und ignorierte den Schmerz in ihrer Hand.
„Sunny?" sie zuckte zusammen und sah auf, direkt in die warmen Augen von Newt.
Er wirkte aufgewühlter und machtloser als sonst und als sich ihre Blicke kreuzten schossen seine Augenbrauen in die Höhe, was Sienna an ihr verweintes Gesicht erinnerte.
„Sorry ich-„ setzte sie an, unterbrach sich selber und wischte sich einmal energisch übers Gesicht.
„Ist sonst alles im Trockenen?" wechselte sie das Thema und stand langsam auf, hielt dabei eine der Scherben umgriffen und merkte nicht einmal wie sich die scharfen Kanten in ihr Fleisch bohrten und ein Blutgerinnsel entstehen ließen.
„Hör auf damit." sagte Newt statt einer Antwort und irritiert sah sie ihm entgegen.
„Womit?"
„Sunny, du musst mir nicht beweisen dass du stark bist, dass weiß ich, glaub mir, du bist das stärkste Mädchen was ich kenne."
Seine Worte trafen einen roten Knopf und lösten das reinste Gefühlschaos in ihr aus.
„Du kennst nur ein Mädchen." brachte sie halb weinend, halb lachend hervor und sah ihm wieder in die Augen.
Newt begann leicht zu lächeln und nahm ihr vorsichtig die Scherbe aus der Hand, ohne den Blickkontakt länger als ein paar Sekunden abzubrechen.
„Goldrichtig." sagte er und ließ den folgenden leichten Schlag ihrerseits über sich ergehen, bevor er sie in eine Umarmung zog.

„Ich will nicht so verletzlich sein." meinte Sienna nach ein paar Sekunden, in denen man nichts als den prasselnden Regen vernehmen konnte und schniefte einmal leise, bevor sie sich von ihm entfernte.
„Jeder ist verletzlich." er zuckte mit den Schultern und ließ sich auf die Bank sinken.
„Und dein wunder Punkt ist Minho."
„Was?" fragte sie verwirrt und folgte seinem Beispiel.
„Sunny, du kannst mir nicht ernsthaft erzählen dass du dir nicht im klaren bist, was du für ihn fühlst."
„Selbst wenn, jetzt ist es sowieso zu spät." murmelte sie und blickte in Richtung der Mauern, überlegte ob sein Leben schon beendet wurde.
„Vielleicht ja auch nicht. Du kannst dir nie ganz sicher sein."
„Newt." setzte sie an und schüttelte leicht ihren Kopf über seinen Optimismus.
„Ich weiß wie viel er dir und auch mir bedeutet, wie wichtig Alby für jeden von uns ist und dass du dich für den Frischling verantwortlich fühlst, aber sie kommen nicht zurück."
Noch während sie ihre eigenen Worte aussprach, spürte sie, wie sich ihr Herz zusammenzog und sich neue Tränen bildeten, die sie mit einem energischen Atemzug verdrängte.
Resigniert ließ der Blondie seine Schultern sinken.
„Ich weiß dass du Recht hast." murmelte er mehr zu sich als zu ihr und stand auf.
„Es tut mir leid." sagte Sienna, bevor er gehen konnte.
„Mir auch." sie sahen sich beide mitleidig an und gaben ihr bestes ein Lächeln auf ihre Gesichter zu zaubern.

„Wir sind die letzten, lass uns gehen."
Newt deutete in Richtung der Hängematten und wartete bis Sienna sich erhoben hatte, bevor er voran ging.

Taub reagierte sie auf alles was um sie herum passierte.
Ein wenig hatte sie das Gefühl, ihr Körper hatte sie aufgegeben, als sie sich in Minhos Hängematte gelegt hatte.
Nicht ein einziger Gedanke huschte durch ihren Kopf.
Sie fühlte nichts als Leere und starrte über eine Stunde lang in den Himmel, welcher aufgehört hatte, Regen auf die Lichter zu gießen.
Und irgendwie schaffte sie es tatsächlich zu schlafen.

Ruckartig wachte sie auf und setzte sich aufrecht hin.
Die Sonne begann gerade über die Mauern zu klettern und als die Sonnenstrahlen ihr Gesicht trafen, wurde sie schmerzhaft zurück in die Realität geschleudert.
Mit einem Ruck war sie aufgesprungen und lief angespannt zu den, noch geschlossenen, Toren, während sie einmal durch ihre zerzausten Haare fuhr und ihr Oberteil richtete.
Sie kommt nicht verhindern, sich etwas Hoffnung zu machen.

Keine Minute später hörte sie das Schnaufen eines Lichters hinter sich und drehte leicht den Kopf.
"Chuck." sagte sie leise und fixierte erneut die Mauern.
Der Junge griff nach ihrem Arm und klammerte sich fest.
"Ich will nicht, dass sie sterben." sagte er und sie konnte das Zittern in seiner Stimme hören.
Sie zog den Jungen in eine Umarmung und stützte ihren Kopf auf seine Locken, ohne den Blick von den Toren abzuwenden.

Chuck drückte sie so fest er konnte, sodass ihr beinahe die Luft wegblieb, aber sie ließ es zu, sie wusste wie es sich anfühlte und wusste, dass er jemanden brauchte, auch wenn sie selber am Rand des Abgrund stand.

Stark zuckten sie beide zusammen als plötzlich ein Donnern und Ratschen ertönte.
Chuck drehte sich herum und einige andere Lichter begaben sich zu ihnen, hofften ihren Anführer wieder empfangen zu können.
Auch Newt hatte sich neben sie gestellt.
Chuck knetete ihre Hand und starrte mit einem besorgten und ängstlichen Gesichtsausdruck auf die sich bewegenden Tore.
Ihr eigenes Gesicht dagegen verriet nichts von dem Wirbelsturm in ihrem Inneren.
Schmerzhaft zog sich ihr Magen immer wieder zusammen und ihr Kopf dröhnte.
Angestrengt versuchte sie ihren inneren kleinen Teufel zu ignorieren, welcher ihr seit gestern die schlimmsten Dinge ins Ohr flüsterte.
Doch bevor sie sich den Kopf zerbrechen konnte, hatten sich die Tore vollkommen geöffnet.

Nach einer kurzen Zeit der Schockstarre drehten sich die ersten Jungs um und murmelten Sachen wie
"ich hab doch gesagt sie kommen nicht zurück."

Sienna hingegen starrte wie gelähmt auf den leeren Gang der ins Labyrinth hineinfürhte.
Ein unglaublicher Schmerz durchfuhr sie, jedoch war ihr äußerlich nichts anzumerken.
Keine Träne verließ ihr Auge.

Kalt nahm sie den Augenblick hin, der ihr Leben vollkommen zerstörte.

Chuck begann zu weinen und sie zog ihn erneut in eine Umarmung.

Das war der Moment, wo sie ihren Blick von dem Bild abwandt und die Realität ihr einen Dolch in den Rücken stieß.

Trotzdem zeigte sie niemandem wie sie fühlte.
Immernoch bereute sie, wie sie sich gestern verhalten hatte. Schließlich war es nicht wirklich etwas neues, dass Lichter in dem Labyrinth umkamen.
Sie drehte ihren Kopf, um Newt zu betrachten.
Nachdenklich sah er in das Labyrinth, schien nicht fassen zu können, das Sienna im Recht war.
Sie streichelte Chucks Rücken und drückte ihm einen Kuss auf den Kopf.
„Ist schon okay." flüsterte sie und beobachtete wie Newt seinen schmerzverzerrten Blick hob.
Sie sahen sich einige Momente an und schienen innerlich auszumachen, wer von beiden der Starke und wer den Schwachen spielen sollte.

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