3) Gewürztee

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Wie ein Zombie schob ich mich am nächsten Morgen aus dem Bett.

Die Stimmen waren überwältigend, wenn auch viel leiser als gestern an der Uni, fast wie ein Nachhall des vergangenen Tages. Ein besonders hartnäckiger Nachhall.

Unter Leuten war es für gewöhnlich am schlimmsten. Durchbrachen sie dann die Oberfläche, war ich dazu gezwungen, sofort nach einer höheren Dosis meiner Medikation zu greifen, um nicht den Verstand zu verlieren.

Für gewöhnlich, wohlgemerkt.

Hatte ich aber zu viel Schlaf abbekommen, vorzugsweise, nachdem ich mich mit meinen Tabletten weggeballert hatte, traten sie auch in meinen eigenen, einsamen vier Wänden auf den Plan.

Zwar nur leise und flüsternd, aber irgendwie noch aufdringlicher. Persönlich. Als hätten sie nach der Eskalation am vorigen Abend verstanden, dass Gewalt nichts nutzte, nur um es dann auf die zurückhaltende, einlullende Tour zu versuchen. Als kämpften sie gegen den Wirkstoff der Medikation an.

Ich verstand es nicht. Da waren so viele Dinge, die ich nicht verstand und die, in meinen Augen, auch im Kontext einer schizophrenen Diagnose keinen Sinn ergaben.

Aber besagte Dinge waren nun mal so, wie sie eben waren, und ich musste damit klarkommen.

Mein Glück, dass ich inzwischen Übung darin hatte, dieses Gemurmel in meiner Morgenroutine auszublenden. Oder es zu kontrollieren. Keine Ahnung, was ich eigentlich tat.

Und wenn ich dann beim Frühstück zu meiner obligatorischen Tablette griff, die mich im Normalfall über den ganzen Tag brachte, waren sie meistens von selbst schon wieder verschwunden.

Mehrmals hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, die morgendliche Medikation in diesem Fall einfach wegzulassen. Einfach aus reiner Neugier heraus, wie es sich entwickelte und ob ich es vielleicht auch ohne meine Tabletten schaffen würde, doch am Ende hatte ich mich nie getraut. Zu groß war die Angst, in noch tiefere Ausprägungen der Krankheit zu geraten – als Einbahnstraße. Und das wollte ich beim besten Willen nicht riskieren.

Dunkle Ringe und blasse Wangen lachten mir im Spiegel entgegen, nachdem ich es endlich geschafft hatte, mich in mein minimalistisches Bad zu quälen. Meine Augen, auf deren tiefblauen Farbton ich schon als Kind stolz gewesen war, wirkten stumpf, hatten mehr oder weniger alles von ihrer farbenfrohen Lebendigkeit eingebüßt.

Missmutig starrte ich mich an, versuchte wie immer, die hässlichen, matschgrünen Fliesen im Hintergrund zu ignorieren. Meine Augenfarbe war von jeher das Einzige gewesen, das ich an mir wirklich gemocht hatte. Mir gefiel das ungemischte, ungefilterte Meerblau.

Von diesem Meerblau war im Moment nur leider nicht viel zu entdecken, und ich steckte mein Gesicht eilig unter den Wasserhahn, um mein zombiehaftes Spiegelbild nicht unnötig lange begutachten zu müssen.

Ich fragte mich, ob irgendwann jeder Morgen so wie dieser sein würde. So, als hätte ich am Abend zuvor endlose Kämpfe ausgefochten, als hätte in meinem Kopf Krieg stattgefunden. Erbarmungsloser, blutiger Krieg.

Anfühlen tat es sich jedenfalls so.

Während sich das Wasser aus der alten Leitung allmählich zu einer annehmbaren Temperatur erwärmte, erlaubte ich es mir, die Augen zu schließen und mich einzig und allein auf meinen Geist zu konzentrieren.

Das Flüstern darin bewegte sich wie ein Wellengang, vermischte sich mit dem Rauschen des realen Wassers, ging darin unter. Langsam lockerten sich meine verspannten Nackenmuskeln, und auch das chaotische, hämmernde Rumoren in meinem Kopf legte sich zunehmend.

Für jeden Außenstehenden hätte es sicherlich befremdlich gewirkt, wie ich so halbtot über dem Waschbecken hing und den Kopf unter den laufenden Wasserhahn hielt, aber mir half es tatsächlich mehr als alles andere. Das Gefühl, wie das Wasser unter meinen Haaren über meine Kopfhaut kroch, in meinen Nacken rann, meine verklebten Augen löste und das Leben in meine Wangen zurückbrachte.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now