18) Blondie

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„So. Den Verwaltungstrakt kennst du jetzt schon. Und das hier ..." Harry schüttelte sich seine widerspenstige, braune Lockenmähne aus der Stirn, bevor er mir eine weitere Flügeltür aufhielt. „Das hier sind die Wohnräumlichkeiten. Hier bekommst du auch ein Zimmer, zumindest vorerst."

Der Eifer, mit dem er mich herumführte und sicherging, dass ich auch wirklich keine Fragen mehr hatte, war rührend. Und ansteckend.

Fast so ansteckend wie sein grübchenbehaftetes Grinsen, das er mir immer schenkte, sobald er bemerkte, dass ich ihn musterte.

Was ich ziemlich oft tat, um ehrlich zu sein. Der Kerl war mir sympathisch. Attraktiv war er natürlich auch, was ich in all meinem Schwulsein nicht leugnen konnte, aber daran lag es nicht, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühlte.

Es war seine seltsame Vertrautheit. Sie brachte mich dazu, seine Suche nach meiner Nähe bereitwillig zu erwidern und offen zu sein, wenn er Fragen zu meinem bisherigen Leben stellte.

Hier musste man anmerken, dass er dazu erstaunlich viele Fragen hatte. Noch dazu auch sehr detailliert und ein wenig irritierend, aber es störte mich nicht.

Harry wirkte auf mich wie jemand, dem man auch seine dunkelsten Geheimnisse anvertrauen konnte, der aber dennoch nicht urteilte oder diese gar weitertrug.

Ich vertraute ihm.

Eigentlich ohne jegliche Basis, aber nun gut. Mein Bauchgefühl war schon immer meine beste Führung gewesen, also würde ich mich auch in diesem Fall darauf verlassen.

Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte, wie Harry vor mir zu einem Halt kam. Mit dem Resultat, dass ich schnurstracks gegen ihn rannte und uns beide damit zum Taumeln brachte.

„Hoppla." Harry griff nach meinem Arm, mit der anderen Hand nach dem Handlauf an der Wand. „Alles klar?"

Verlegen entzog ich ihm meinen Arm. „Ja. Tut mir leid. Ich bin ein bisschen verwirrt."

Harry begutachtete mich mitleidig. „Kann ich verstehen. Ähm ... das hier ..." Er deutete auf die Tür, vor der wir beinahe einen filmreifen Sturz hingelegt hätten. „Das hier wird für die nächste Zeit dein Zuhause. Natürlich ist es nicht besonders groß und du hast auch nur eine kleine Küchenzeile, aber es ist besser als nichts. Und definitiv besser, als irgendwo ..." Er brach ab und sein Lächeln erlosch. „Nun ja. Du weißt schon."

„Als irgendwo in einer dunklen Gasse abgefangen und abgemurkst zu werden?" Ich trat an ihm vorbei, um die Tür zu öffnen. „Das stimmt wohl."

Harry räusperte sich. „Sorry. Mein Humor ist schlecht."

„Nicht nur deiner." Ich betrat den Raum, hörte, wie Harry es mir gleichtat und die Tür hinter uns schloss. „Sieht doch gut aus. Ein bisschen wie meine Studentenbude, nur ein wenig moderner." Mein Blick blieb an den Vorhängen haften, die sich farblich perfekt zur Bettwäsche ergänzten. „Hey, Dunkelblau ist meine absolute Lieblingsfarbe. Was für ein Zufall."

„Wirklich?" Harrys Stimme klang merkwürdig. „Krass."

Fragend wandte ich mich zu ihm um und stellte fest, dass er mich anstarrte. „Ist denn bei dir alles klar?"

„Absolut." Er ließ seine Grübchen erstrahlen. „Training war hart, das ist alles."

Ach ja. Das ominöse Training.

„Okay?" Nun war mein Interesse geweckt. „Wie muss ich mir dieses Training denn vorstellen?"

Das unwillige Zucken von Harrys Mundwinkeln verriet, dass dieses Training leider gleich das nächste Thema zu sein schien, das ihm nicht behagte. Offenbar war ich heute geradezu darauf gepolt, in Harrys persönliche Fettnäpfchen zu tappen.

Oblivious (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt