39) Mitternachtsgespräch

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„Niall?"

Zayns Stimme aus nächster Nähe holte mich schlagartig zurück in die Realität.

Hektisch riss ich die Augen auf und musste mich prompt mit einer Hand am Boden abstützen, als sich mein Kopf bedenklich zu drehen begann.

„Meine Güte." Sein Brummen klang amüsiert und ernüchtert zugleich. Im nächsten Moment befand sich seine Hand schon an meiner Schulter. „Du solltest dir angewöhnen, Proteinriegel einzustecken. Oder Energydrinks."

Mein Sichtfeld klarte langsam auf, die Sterne machten Platz für Zayns vertrautes Gesicht. Die markanten Wangenknochen, die braunen Augen, der schwarze Dreitagebart, der seinen Kiefer bedeckte.

„Ich kann eine ganze Menge", nuschelte ich schließlich hervor, wobei ich selbst nicht ganz verstand, warum ich ausgerechnet das ausgerechnet jetzt von mir geben musste. „Weißt du das?"

„Daran zweifle ich nicht." Unbeeindruckt griff er hinter sich und drückte mir im nächsten Moment eine fast volle Wasserflasche in die Hand. „Trink mal was, bevor du umkippst. Ich habe keine Lust darauf, diesen Wachpfosten erklären zu müssen, warum du halbtot hier herumliegst."

Ich entriss ihm die Flasche. „Wie überaus aufmerksam von dir." Trotz meines schnippischen Tonfalls schenkte ich ihm ein Lächeln. „Danke."

Zayn nickte nur knapp, während er abwartete, bis ich einen Schluck getrunken hatte. Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, mir für alle Fälle immer einen Müsliriegel oder ähnliches in die Hosentasche zu schieben. Mein Kreislauf schien es mir jedes Mal übelzunehmen, wenn ich auf meine Fähigkeiten zurückgriff. Ob das wohl der Norm entsprach? Oder war ich auch dahingehend wieder ein Sonderfall?

„Es bessert sich mit der Zeit." Zayn sah mich nicht an, sondern zupfte an seiner Jeans herum. „Ich musste ganz am Anfang immer kotzen, wenn ich mich überstrapaziert habe. Lästig und frustrierend, aber es pendelt sich ein."

Ich starrte ihn an, die Wasserflasche reglos vor mir erhoben. „Woher..."

„Temporär, schon vergessen?" Traurig lächelte er mich an. „Ein paar Wochen, dann haben sich die Strukturen der Mutation vollständig zurückgebildet, und ich wäre gestern fällig gewesen. Es reicht zwar noch nicht dafür aus, wirklich etwas zu leisten, aber ich kann dich hören. Verschwommen, aber immerhin."

„Okay." Neugierig musterte ich ihn, unsicher, ob ich die nächste Frage stellen durfte. „Was ist deine Hauptkraft?"

Glücklicherweise schien ich damit keinen Nerv zu treffen, denn er zuckte lediglich die Achseln.

„Klassische Telepathie." Sorgfältig nahm er mir die Flasche aus der Hand, als ich mit dem Deckel zu kämpfen begann. „Also wie ein Großteil aller existierenden Oblivious."

Er stellte die Flasche weg, ließ einen Finger noch um den Deckel kreisen, ehe er die Hand vollständig zurückzog.

„Es hat mich belastet. Ich habe es nie vollständig geschafft, mich den anderen Leuten gegenüber abzuschirmen. Ich habe immer Stimmen gehört, immer fremde Gefühle gefühlt. Meine Aufnahmefähigkeit ist anscheinend übermäßig stark ausgeprägt. Es hat mich wahnsinnig gemacht, statt mich in irgendeiner Art zu bereichern."

Ich machte mich daran, meine Position in einen gemütlicheren Schneidersitz zu verändern. Dabei fiel mein Blick zufällig auf die Kamera oben links in der Ecke. Die rote Kontroll-LED leuchtete zwar, doch die Ruhe in mir überzeugte mich davon, dass die Wächterin nichts von unserer Szene hier sah. Mein Unterbewusstsein handelte für mich.

Zum wiederholten Male flackerte Unwohlsein in mir auf. Bisher war mir die Selbstständigkeit meiner Fähigkeiten immer zugutegekommen. Aber was, sollte irgendwann das Gegenteil der Fall sein? Wenn eine Situation eintrat, in der ich mir zwar etwas wünschte, gleichzeitig aber wusste, wie schwachsinnig es wäre, es tatsächlich zu tun? Könnte ich mein Unterbewusstsein im Ernstfall lahmlegen? Kontrollieren?

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now