28) Überraschung

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Mir blieb keine Zeit für weiteres Kopfzerbrechen, denn nun gab Harry meinem Rollstuhl einen Ruck und bugsierte uns in die Empfangshalle hinaus.

Unwillkürlich sank ich noch weiter in mich zusammen, senkte das Kinn, als könnte ich mein Gesicht so noch besser hinter der blauen Maske verstecken. Welche Farbe die Haube hatte, die mir von Harry vorhin übergestreift worden war, wusste ich nicht, aber sicherlich war sie ebenfalls weiß oder blau und ging im farblichen Durcheinander der vielen Leute unter.

Selbstverständlich war auch unser Rollstuhl nicht der einzige, der hier herumrollte. Schon allein auf halbem Wege an der Rezeption vorbei erspähte ich drei weitere – einer davon gehörte einem jungen Mann, dessen rechtes Bein in einem Gips steckte.

Bei Letzterem musste ich reflexartig ein zweites Mal hinsehen, bis mir aufging was mich an ihm so irritierte. Auch er trug eine Maske über dem Gesicht und eine Haube über dem Kopf, und erinnerte mich verdächtig an meinen eigenen Anblick.

Und als ich einen Augenblick später noch ein Rollstuhlgespann drüben im Wartebereich entdeckte, wurde mir klar, dass das wohl gezielt so eingefädelt worden war. Sollte der Agent, der hier noch irgendwo lauerte, darauf aus sein, auffällige Leute aus dem Verkehr zu ziehen und zu überprüfen, wäre ich nicht die einzige Person, die allein aufgrund der Maske und der blöden Mütze unter Verdacht geraten könnte.

Harry hinter mir atmete so laut, dass ich es sogar durch seine Maske und den Lärmpegel hindurch klar und deutlich vernehmen konnte. Gedankenfetzen gingen von ihm aus, begleitet von wirren Bildern und horrenden Szenen. Szenen, wie diese Situation in seiner Vorstellung offenbar enden könnte, wenn wir den Kürzeren zogen.

Es machte meine Panik beim besten Willen nicht besser.

Als wir zwei Handwerker passierten, die eine Tischplatte an uns vorbeitrugen, nutzte ich die Gelegenheit und blockierte ein Rad des Rollstuhls, um Harrys Aufmerksamkeit zu erlangen.

Harry grummelte verärgert, beugte sich aber zu mir hinab. „Was?"

„Hör auf zu denken", zischte ich ihm zu. „Du machst mir Angst."

Sein Schnauben sprach Bände. „Du solltest auch Angst haben."

Trotz seiner schnippischen Entgegnung wurde sein Gedankenchaos daraufhin merkbar leiser, auch wenn es ihm nicht gelang, es komplett bei sich zu behalten. Ich spürte seine Anstrengung, genau das schaffen zu wollen. Den Hauch von Sorge darüber, was er mir noch so alles unfreiwillig preisgeben könnte. Er war frustriert und wütend, doch in allererster Linie überwog seine Angst.

Es war ansteckend, doch ich hielt mich zurück, ihn erneut darauf hinzustoßen. Er war deshalb ohnehin schon verzweifelt genug, da musste ich nicht auch noch Salz in die Wunde streuen – schon gar nicht in einer Situation wie dieser hier.

„Entschuldigung?"

Ich zuckte zusammen und klammerte mich reflexartig an den Armstützen fest, als Harry den Rollstuhl ruckartig zu einem Halt brachte.

Ein Mann mittleren Alters war uns in den Weg getreten, dunkel gekleidet und ein großes Smartphone in der einen Hand, eine Aktentasche in der anderen. Auf seinem kurz geschorenen Haar thronte edle Sonnenbrille.

Oh nein.

Ich konnte nicht atmen.

Das war es dann wohl gewesen.

Das war der OOA-Agent. Er musste es sein. Und er hatte von all den Leuten hier ausgerechnet uns für eine Kontrolle ausgewählt.

Mein Herz raste, als ich die Finger in meinem Schoß verkrampfte und die Füße gegen die Fußteile des Rollstuhls stemmte. Dem eindringlichen Blick des Mannes wich ich aus, als könnte ich seine Anwesenheit dadurch einfach ausblenden, versuchte, möglichst gelangweilt zu wirken.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now