42) Gleiches Blut

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Ich spürte die Blicke des Mutter-Sohn-Gespanns auf mir brennen, als ich mich von Ken durch das Gewimmel hindurch zu einer Tür in der anderen Ecke der Halle führen ließ, hinter der sich offenbar sein eigenes Reich befand.

Trotz allem erwachte meine Neugier. Vielleicht bekam ich Kens Darwin-Bibel-Sammlung nun höchstpersönlich zu Gesicht. Sicherlich ein echtes Erlebnis.

„Möchtest du etwas trinken?" Sorgfältig verschloss Ken die Tür hinter uns. Mich wies er an, mich auf die kleine Sitzgruppe in der Ecke zu setzen, während er sich zunächst zwei Gläser aus einer Vitrine schnappte, bevor er sich zu mir gesellte. Fragend hielt er mir ein Glas hin. „Wasser oder was anderes?"

„Äh ..." Langsam ließ ich mich auf dem schwarzen Lederpolster der Couch nieder. „Nichts, danke."

„Okay." Scheinbar ungerührt zuckte Ken die Achseln und schenkte sich selbst ein Glas Sprudelwasser ein. Dann zog er sich einen Hocker heran, setzte sich mir gegenüber an die andere Seite des Tischs.

Aus den Augenwinkeln konnte ich unter diesem eine Whiskyflasche und eine Packung Salzstangen ausmachen, ebenso ein Buch. Die Einbandgestaltung von Letzterem wies auf biologische Fachliteratur hin – also genau das, was man von einem Evolutionsfanatiker erwartete.

„Ist bei euch alles in Ordnung?"

Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Bei wem?"

Ohne mich anzusehen, nahm er einen Schluck von seinem Wasser, kniff die Augen zusammen, als die Kohlensäure an der Oberfläche Bläschen warf.

„Bei dir und Harry, meine ich." Er exte das Glas ruckartig, um es dann im Kontrast dazu fast andächtig vor sich abzustellen. „Ihr habt während der Besprechung so angespannt gewirkt. Und Harry ist sofort geflohen. Sonst seid ihr doch unzertrennlich. Oder wart es zumindest als Kinder."

Ich bemühte mich um Gleichgültigkeit. „Alles bestens."

Ken musterte mich aufmerksam. „Er bewundert sich sehr, musst du wissen." Er schürzte die Lippen, während er mit den Händen geistesabwesend das Glas hin und her schob. „Damals schon, aber jetzt noch viel mehr." Seine Augen glänzten. „Es ist offensichtlich, dass du ihm eine Menge bedeutest."

„Das beruht auf Gegenseitigkeit." Ich räusperte gegen den Kloß an, der sich urplötzlich in meiner Kehle bildete. „Wir sind wie Brüder."

„Wie Brüder also." Kens Augenbrauen zuckten kaum merklich. „Ist das so?"

Aus irgendeinem Grund musste ich den Blickkontakt unterbrechen. Kens Augen waren so bohrend. Wie Scanner, die jede noch so gut verborgene Informationen aus dem Gehirn eines Menschen ziehen konnten.

„Ja." Ich schluckte unwillkürlich. „Absolut."

„Alles klar." Ken beugte sich vor und ehe ich mich versah, hatte er schon in einer besorgten Geste die Hand auf meinen Arm gelegt. „Du weißt, dass du mir alles mitteilen kannst? Dass du mir vertrauen kannst? Du bist mein Neffe, Niall. Die einzige Familie, die mir geblieben ist, nachdem die OOA dafür gesorgt hat, dass Maura ihr Leben lassen musste. Wir sind vom gleichen Blut, und ich werde den Teufel tun und die Gelegenheit verpassen, ein Onkel für dich zu sein."

Ich wand mich innerlich.

Das hier erinnerte mich viel zu sehr an diverse Kitschsendungen mit dramatischen Familienzusammenführungen. Zumal Ken mir schon viel zu oft diese andere Seite von ihm gezeigt hatte, um ihm jetzt die Masche des besorgten, warmherzigen Onkels noch abzunehmen.

Der Typ war verkorkst. Nicht durchweg schlecht oder gar bösartig, aber definitiv unberechenbar. Dass die OOA seine Schwester – meine Mutter – getötet hatte, ließ offenbar eine Rachsucht in ihm toben, die niemand zu löschen vermochte. Die beiden mussten ein enges Geschwisterverhältnis gepflegt haben.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now