13) Realität

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„... wie aus dem Gesicht geschnitten."

Stimmen, reale Stimmen.

In Kombination mit einem vertrauten, würzigen Duft waren sie ersten Eindrücke, die in mein Bewusstsein vordrangen. Dann das Geräusch einer sich schließenden Tür. Das Rascheln von Kleidung. Das Quietschen von Gummisohlen auf glattem Laminat.

Instinktiv sog ich einen tiefen Atemzug ein, bevor ich mich daran machte, die Augen zu öffnen. Als wäre es die oberste Priorität, den Geruch zu definieren, statt herauszufinden, wo ich mich überhaupt befand.

Nein, ich hatte mich nicht getäuscht. Es war ganz eindeutig Tee, den ich hier roch. Gewürztee, um genau zu sein. Der, den ich auch sonst in rauen Mengen in mich hineinkippte, in der irren Illusion, er könnte meinen Kopf beruhigen.

Und kaum hatte ich dieses Rätsel gelöst, walzte auch schon die Realität mit all ihren unschönen Erinnerungen über mich hinweg.

Die Sache mit Louis.

Mein Besuch bei Quinn.

Der verpasste Bus.

Der Fußmarsch im Regen.

Der Überfall. Die Frau mit der Spritze. Das Messer.

Das Messer, das dem Kraftprotz wie aus dem Nichts aus der Hand geschlagen und davongeschleudert worden war, bevor er mich damit umbringen hatte können.

Meine Atmung geriet aus den Fugen.

Jemand wollte mich umbringen. Ich hätte bei diesem Überfall sterben können. Erstochen von einer Messerklinge.

Noch dazu aus Gründen, die ich nicht kannte.

Wieder stieg Panik auf, brachte mich endgültig an den Rand der Hyperventilation, und-...

„Guten Morgen", riss mich eine sanfte, weibliche Stimme aus meiner aufkeimenden Angstspirale. Im nächsten Moment legte sich eine Hand auf meine Schulter, ebenso behutsam, passend zum Tonfall ihrer Besitzerin. „Es besteht kein Grund zur Panik. Alles ist in Ordnung. Hier bist du sicher."

Meine Verwirrung stieg sekündlich.

Sicher? Sicher wovor? Vor wem? Oder vor was? Und wo zur Hölle war hier?

Diese letzte Frage war der ausschlaggebende Punkt, der mich schließlich dazu bewegte, ruckartig die Augen aufzureißen, ungeachtet der Helligkeit, die mich daraufhin grell und stechend empfing.

Zunächst sah ich nicht viel.

Da war nur dieses gleißende Licht, zusammen mit Umrissen und Silhouetten. Doch als sich meine Augen allmählich an die neuen Verhältnisse gewöhnten, gelang es mir nach und nach, meine Umgebung auszumachen.

Weiße Wände, heller Laminatboden, sterile Bettwäsche, langweilige Möbel, eine Tür mit Sichtfenster auf Augenhöhe und hinuntergelassenen Jalousien ...

Moment mal.

War das ... war das hier etwa ein Patientenzimmer? Befand ich mich im Krankenhaus?

„Du bist im St. Hedwig Klinikum", meldete sich die Frau wieder zu Wort, als hätte sie meine Gedanken gehört, ehe sie einen Schritt vom Tropf weg und somit in mein Blickfeld trat. „In der beschützten Abteilung."

Ich zwang mich dazu, den Blick vom neu entdeckten Tropf und der Nadel in meinem Arm zu lösen, und ihn stattdessen auf meine Gesprächspartnerin zu richten.

Eine Frau mit langem, dunkelbraunem Haar, schätzungsweise in ihren Fünfzigern, gekleidet in einen typischen Arztkittel. In der sonnengebräunten Hand hielt sie ein Klemmbrett. Ihre Gesichtszüge waren freundlich und weich, ergänzten sich nicht nur einwandfrei zu ihrer sanften Stimme, sondern auch zu den auffallend grünen Augen.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now