60) Einladungen

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„Du hast vorhin etwas von einer Ausbildung gesagt." Ich wandte ihm den Kopf zu, nur um zu bemerken, dass er mich ohnehin schon von der Seite er betrachtete. Schnell sah ich wieder auf meinen Schoß hinab, wo meine Finger am Saum meines Shirts friemelten. „Hast du im Labor gelernt?"

„Na." Belustigt stieß Zayn meinen Fuß mit seinem an. Mittlerweile saßen wir beide nebeneinander auf dem Tisch, so dicht, wie es eben ging, ohne sich aufeinanderzusetzen. „Warum so verlegen? Du hast dich eben noch auf mich gestürzt wie ein Piranha."

Ich verdrehte die Augen. „Tut mir leid, dass ich meine Nervosität in deiner Anwesenheit auch nach einem derartigen Zwischenfall nicht einfach so ausknipsen kann."

„Zwischenfall?"

Am liebsten hätte ich das Gesicht in den Händen vergraben. „Zayn."

„Du hast Recht." Seine Finger begannen sanfte Kreise an meine Seite zu zeichnen. „Ich habe im Labor Ausbildung gemacht. Als medizinisch-technischer Laboratoriumsassistent, wie es sich offiziell schimpft. In Bernards Forschungslabor an der Uni, natürlich mit ein wenig Vitamin B, um überhaupt an die Stelle zu kommen, versteht sich." Er überlegte kurz. „Korrektur: Es war eine ganze Menge Vitamin B."

„Und ich dachte, Jura wäre der perfekte Ausbildungsweg für dich."

Zayn lachte leise. „Tut mir leid, aber ... nein. Paragraphen sind nicht so mein Ding."

„Verstehe ich zu hundert Prozent." Ungeniert lehnte ich mich gegen ihn. „Quinn meinte, du stalkst mich schon seit Jahren?"

„Ich habe dich nicht gestalkt, sondern dabei geholfen, dich zu schützen."

„Schon gut." Sanft knuffte ich ihn in die Seite. „Ich kann einfach nicht aufhören, darauf herumzureiten. Was hat dich dann zu dem Entschluss gebracht, als mein Fake-Nachbar anzuheuern?"

„Na ja." Nachdenklich fuhr er sich durch sein dichtes, tintenschwarzes Haar, von dem ihm wie immer einige Strähnen in die Stirn hingen. Einerseits verstand ich nicht, warum er sie nicht einfach anders frisierte, andererseits gefielen sie mir so, wie sie waren. „Ich bin unter Mutanten aufgewachsen und habe die Geschichten über deine Mutter und dich mehr oder weniger als Gutenachtgeschichte gehört. Dann kam ich in Kontakt mit Bernard und seiner Forschung. Ich habe erfahren, dass du sehr wohl am Leben bist, jedoch als klassischer Oblivious, und dass dir in einigen Jahren exakt dasselbe widerfahren wird wie meinem Vater. Ich wollte dir unbedingt helfen, auch wenn du zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wusstest, dass du Hilfe brauchst. Du hast mich fasziniert. Wie du dein Leben trotz der fürchterlichen Nebenwirkungen des O-Nesciols einfach immer weiter durchgezogen hast. Es war furchtbar und schön zugleich, dich von der Ferne zu beobachten. Ich habe dich sehr bewundert."

„Okay." Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das ist überhaupt nicht creepy oder so."

„Halt die Klappe." Er verdrehte die Augen. „Ich gebe zu: Ich wollte dich in Person kennenlernen. Wie gesagt, du hast mich fasziniert. Und du bist süß."

„Dein Crush war dann wohl das ausschlaggebende Argument für Quinn, dich als Undercover-Agenten auszuwählen."

Crush?", fuhr er empört hoch. „Das war doch kein ..." Er verstummte. „Vielleicht war es einer. Dich persönlich zu treffen, das war ein bisschen so, als würde man seinen Lieblingsschauspieler kennenlernen. Jahre habe ich damit verbracht, dein Blut zu analysieren, an deinem Erbgut zu forschen, dein Leben zu verfolgen und deine Familiengeschichte nachzukonstruieren. Und dann standest du plötzlich vor mir und hast mit mir geredet, und es war einfach unfassbar."

„Das klingt fast so, als wäre ich eine Art von Prominenz."

Zayn summte nachdenklich. „Das bist du wohl auch, ob es dir nun passt oder nicht. Jeder kennt deinen Namen. Jeder, der irgendetwas mit der Oblivious-Mutation zu tun hat. Allerdings wirst du wohl zu gleichen Teilen verehrt wie gehasst. Und der Rest in den Grauzonen bemitleidet dich."

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now