11) Hilfe

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Wie befürchtet war es hinter den Fenstern von Quinns Praxis längst dunkel, als ich auf den Parkplatz des Ärztehauses stolperte. Die Hoffnung, meinen Therapeuten heute noch anzutreffen, sank endgültig unter den Nullpunkt.

Schweratmend verlangsamte ich meine Schritte.

Rückblickend war es natürlich ohnehin vergeudete Liebensmüh gewesen, hierher zu kommen, immerhin konnte ich die Öffnungszeiten der Praxis im Schlaf herunterbeten. Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass sie an Freitagen gegen Mittag schloss.

Und wieso zum Henker sollte Bernard Quinn ausgerechnet heute eine Ausnahme machen und bis zur Dämmerung in seinem Büro sitzen?

Dumm von mir, das auch nur ansatzweise anzunehmen.

Mich innerlich für meine Naivität scheltend, blies ich mir ein paar verirrte, feuchte Haarsträhnen aus der Stirn. Trotz der anfänglichen knapp zwanzig Grad und der strahlenden Sonne waren am späten Nachmittag dunkle Wolken aufgezogen, die nun feinen Nieselregen auf mich herabsandten.

Chaotisches Wetter passend zum Chaos in meinem Kopf.

Das Chaos, das mich heute schon dazu gebracht hatte, mich im Stadtpark zu verkriechen, um nicht allein mit meinen Gedanken in meiner Wohnung sitzen zu müssen.

Allein mit meinen Gedanken.

Ha. Wenn es doch nur so wäre.

Verzweifelt hatte ich nach Hinweisen gesucht, dass all die Bilder, Stimmen und Gefühle nicht von den Menschen um mich herum stammten. Dass ihr Ursprung doch bei mir lag, dass ich einfach durchdrehte.

Vergebens.

Inzwischen konnte ich die Eindrücke allesamt zuordnen. Die Joggerin mit ihrem Hund. Der alte Herr mit der Zeitung. Eine junge Frau, die direkt an mir vorbeiging und befürchtete, ich könnte ihr nachpfeifen. Eine Gruppe Kinder.

Schrecklich.

Also, nicht nur die Kinder, sondern einfach alles.

Im allerletzten Moment hatte ich mich bei der Heimfahrt dazu entschlossen, einen anderen Bus zu nehmen, der unter anderem das Ärztehaus ansteuerte – aus der kurzschlussartigen Erkenntnis heraus, dass Quinn so ziemlich der einzige Mensch auf Erden sein dürfte, der mir noch weiterhelfen konnte.

Er war schließlich derjenige, der meine Krankheit seit Jahren überwacht, der immer wusste, was in meinem Kopf vorging und was zu tun war. Wenn jemand verstand, was nun abging, dann er.

Trotz allem hielt ich auf die Eingangstür zu. Die Dunkelheiten hinter den entsprechenden Fenstern im zweiten Stock schien mich hämisch auszulachen, schien mir wieder und wieder unter die Nase zu reiben, dass ich doch eigentlich sofort wieder umkehren und heimfahren konnte.

Tat ich nicht.

Der nächste Bus zurück kam ohnehin erst in zwanzig Minuten, da konnte es nicht schaden, mich wirklich bis zum letzten ausgeräumten Zweifel von Quinns Abwesenheit zu überzeugen. Und wenn es nur dazu diente, die Zeit totzuschlagen.

Mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen stieg ich die Stufen zum Eingang hinauf, schob die Tür mit der Schulter auf. Mein Glück, dass einige der anderen Praxen im Gebäude scheinbar noch geöffnet hatten. Das Treppenhaus lag hellerleuchtet vor mir, lud mich dazu ein, die Stufen zu erklimmen.

Mit einem tiefen Atemzug kam ich der Einladung nach.

Selbstverständlich gäbe es einen Aufzug, noch dazu einen recht modernen, aber da machte mir meine Klaustrophobie einen Strich durch die Rechnung. Zusammen mit der tief in mir verankerten Sorge, der Aufzug könnte steckenbleiben und mich auf unbestimmbare Zeit einschließen.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now