33) Anders

214 39 59
                                    

„Du wusstest es."

Ich brachte es nicht über mich, ihn anzusehen, obwohl er nur wenige Schritte hinter mir stand. Mit leisem Klicken verschloss er die Tür unserer gemeinsamen Unterkunft im Stützpunkt der Cognizant hinter sich, entgegnete jedoch nichts.

„Du wusstest es", wiederholte ich, diesmal mit mehr Nachdruck. „Und hast nichts gesagt."

Zögerliche Schritte näherten sich. Einen Moment später fühlte ich Harrys Hand an meinem Arm. Sie bat mich darum, mich umzudrehen und ihn anzusehen.

„Wir wollten dir Zeit geben." Seine Stimme klang sehr kleinlaut. „Zeit, die du dafür nutzen kannst, dich selbst wieder kennenzulernen und zu verstehen, statt ins kalte Wasser geworfen zu werden."

Sein Tonfall wandelte sich ins Flehentliche. „Niall, bitte. Du hast selbst erlebt, was passiert ist, als Tilda mit ihrer Emotionsübertragungsmethode angerückt ist, wie damals, als wir noch klein waren. Du hast eine Barriere im Kopf, die sich jetzt erst nach und nach löst. Sofern sie denn jemals wieder komplett verschwindet. Überforderung ist das Allerletzte, was du brauchen konntest. Kannst."

Halb wandte ich mich zur Seite, um ihn aus den Augenwinkeln ansehen zu können. Eine merkwürdige Gefühlsmixtur zierte sein Gesicht.

„Woher kommt diese Barriere, wie du es so schön nennst?"

Harry zögerte. Sein Griff um meinen Arm verstärkte sich kaum merklich. „Wir vermuten, dass deine Mutter an deinem Gedächtnis herumgepfuscht hat, bevor die OOA euch aufgegriffen hat. Zu deinem eigenen Schutz, versteht sich."

Ich konnte ein bitteres Schnauben nicht unterdrücken. „Unfassbar, was Leute alles zu meinem Schutz tun."

Als Harry nicht antwortete, entzog ich ihm meinen Arm, um mich komplett zu ihm umzudrehen. Seine tiefgrünen Augen wirkten geradezu schüchtern, während er unruhig die Hände vor dem Körper verknotete. Meinen Blick mied er.

Ganz offensichtlich war er mit der Situation ebenso überfordert wie ich selbst. Wenn nicht sogar noch mehr.

Es war falsch, ihn für Entscheidungen verantwortlich zu machen, die er nicht selbst getroffen hatte.

Verlegen räusperte ich mich. Die angespannte Luft zwischen uns tat weh. Zeit für ein angenehmeres Thema.

„Dann ...", begann ich versöhnlich. „Dann waren wir als Kinder also ganz dicke Kumpels, was?"

„Jup." Endlich zupfte wieder sein übliches, schiefes Lächeln an seinen Lippen, wenn auch nicht ganz so intensiv wie sonst. „Wenn du wüsstest, was für eine Achterbahnfahrt es war, als du plötzlich auf unserem Radar aufgetaucht bist, nachdem wir dich jahrelang totgeglaubt hatten."

Schwerfällig ließ er sich auf einem der beiden Betten nieder, auf dem rechts vom Fenster, und begann sofort, an dem beigefarbenen Kissen zu zupfen. Eine Angewohnheit von ihm, die mir schon länger aufgefallen war. Ständig musste er an irgendetwas friemeln, um seine Hände beschäftigt zu halten.

„Tolles Zimmer, was?" Unsicher grinste er mich an, und ich konnte nur unbestimmt die Schultern heben.

Wir hatten zusammen mit Ken Gallagher erneut das bunkermäßige Treppenhaus betreten, noch ein Stockwerk erklommen und dort ein paar letzte Sonnenstrahlen des Tages aufgefangen – offenbar befand sich diese Etage oberhalb des Erdbodens, im Gegensatz zur Halle, in der wir in Empfang genommen worden waren. Welche Art von Gebäudekomplex das hier genau sein sollte – mal abgesehen von der Tatsache, dass es sich um einen Stützpunkt der Rebellen handelte – wussten wir noch immer nicht.

Offen gesagt, wussten wir absolut nichts.

Wir wussten nur, dass man uns nicht auf der Stelle erschießen oder an die OOA ausliefern würde, und das musste für den Moment wohl reichen. Die Vorstellung davon, was in den letzten Stunden alles passieren hätte können, hätten Kens Leute nicht eingegriffen, war fürchterlich genug, um schnell an etwas anderes zu denken.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now