64) Plan

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Achtung, die 63 ist auch neu :)

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„Rahel hat das Video erhalten."

Quinn schob seinen kleinen Laptop von sich und ließ die Fingerknöchel knacken. Zufrieden wirkte er zwar nicht gerade, aber er hatte sich der Mehrheit gefügt.

„Maura, bist du sicher, dass du das tun möchtest?", versuchte er es erneut, klang dabei jedoch ziemlich hoffnungslos. Maura hatte ihre Entscheidung getroffen, und Quinn wusste das. „Nach all den Jahren, in denen du in Sicherheit warst und an deiner Gesundheit arbeiten konntest, möchtest du dich wieder ins Rampenlicht stellen? Dich an Kens Messer liefern? Du weißt, dass die Möglichkeit besteht, dass er dich tötet, ohne mit der Wimper zu zucken, sobald er dich sieht. Es kann sein, dass er sich gar nicht erst auf ein Gespräch einlässt."

Maura lächelte schief. „Ich weiß. Es gibt aber auch noch andere Dinge, die ich sehr gut weiß, Bernard. Zum Beispiel, dass es für mich ohnehin schon zu spät ist. Meine unklaren Momente häufen sich, die Abstände zwischen den Injektionen werden immer schneller immer kleiner. Ich bin ein verlorener Fall. Niall hingegen nicht." Sie sah nur flüchtig in meine Richtung, doch die Wärme, die aus diesem winzigen Blick sprach, trieb mir beinahe Tränen in die Augen. „Außerdem wird Niall nicht aus Tauschobjekt benutzt. Nur über meine Leiche."

Quinn schnaubte etwas Undeutliches, das sich verdächtig nach „Könnte sich einrichten lassen" anhörte.

Ich konnte ihn nur anglotzen. Der knallharte, todernste Typ besaß ja tatsächlich einen Funken Humor. Galgenhumor. Wer hätte das gedacht.

Unfassbar, welche neuen Seiten Menschen von sich präsentierten, wenn sie in eine verzwickte Lage gerieten.

„Ken hat Angst vor mir." Maura überhörte Quinns Einwurf geflissentlich „Nicht vor mir persönlich, sondern eher davor, was passiert, wenn seine treuen Untergebenen aus allererster Hand erfahren, wie die Gründerin der Cognizant-Rebellion, zu der sie so aufblicken, tatsächlich aus dem Weg geräumt wurde. Vor allem, von wem. Sie werden Ken zerfleischen."

Sie drehte ihren Rollstuhl halb zur Seite, um Geoff Payne zu mustern. Annes Stellvertreter saß inzwischen auf der Couch, schlapp und erschöpft, und schien noch immer nicht zu begreifen, was hier direkt vor seinen Augen geschah.

Kein Wunder. Seine ganze Weltsicht legte gerade eine Hundertachtziggradwendung hin.

„Ken führt die Rebellion noch immer in meinem Namen an." Maura schüttelte den Kopf. „Mit allem, was er tut und tun lässt, beruft er sich auf mich. Darauf, was ich angeblich gewollt hätte, nachdem er mich ermorden wollte. Seine Leute sollten endlich erfahren, was ich tatsächlich will. Was tatsächlich geschehen ist."

Ernüchtert schloss Quinn die Augen, massierte sich die Nasenwurzel. „Es wird nicht einfach, Maura." Er klang müde. „Und gefährlich. Einige der Rebellen sind eingefleischte Fanatiker, die Ken nicht wegen eines einzigen Statements den Rücken kehren werden."

„Das ist mir bewusst. Und egal."

Quinn presste die Lippen aufeinander.

Was sollte man auf ein solches Statement noch erwidern?

Richtig. Nichts.

In der Theorie schien der Plan ja simpel zu sein: Nach außen hin spielten wir mit. Wir vereinbarten ein Übergabesetting und tauchten dort wie abgemacht auf. Allerdings nicht nur mit mir, sondern auch mit Maura Gallagher – und einer hübschen Anzahl Kameras, um die Szene aufzuzeichnen und den Rebellen ein wenig Beweismaterial zu liefern.

Zusätzlich zu dem Video, das Maura vorhin gedreht hatte.

Das Aufklärungsvideo, wie sie es nannte, mit allen Details der hässlichen Realität. Sollte Ken sich weigern, Harry gehen zu lassen, würde das Aufklärungsvideo über den Server der Cognizant die Runde machen, zusammen mit einem Link, der direkt zu einer Liveübertragung der Übergabe führte.

Maura war der festen Überzeugung, dass Ken mitspielen würde. Eine Offenbarung der Realität konnte er sich nicht leisten, dafür war seine Angst, seine Position als Anführer der Rebellen zu verlieren, viel zu groß. Und er würde sie verlieren. Ich hatte mitbekommen, wie sehr diese Leute Maura Gallagher verehrten. Sie vergötterten sie regelrecht und würden wohl alles tun, um ihre hochgelobte Gründerin zurückzubekommen – jedenfalls ein Großteil von ihnen. Sollte sich dann auch noch herausstellen, wer ihnen besagte Gründerin überhaupt erst genommen hatte, endete das für den Schuldigen garantiert nicht sehr vorteilhaft.

Ken war nicht dumm. Er wusste, was auf dem Spiel stand.

„Er möchte, dass die Übergabe außerhalb der Stadt im alten Industriegebiet stattfindet", meldete Gemma in dieser Sekunde. „An der leerstehenden Porzellanfabrik. Ist das für uns akzeptabel?"

„Ja", antwortete Quinn vor allen anderen. „In unmittelbarer Nähe haben wir eine kleinere OOA-Zweigstelle. Im Notfall können wir dort Unterstützung anfordern."

Anne verzog das Gesicht. „Unterstützung im Sinne von gewalttätigen Mutationsgegnern? Von denen habt ihr in der OOA doch genug. Der exakte Gegenpol zu Ken und seinen Leuten. Das wird ein Blutbad."

„Dr. Twist, es ..."

„Dann antworte ich ihm, dass das passt", grätschte Gemma dazwischen, bevor das Ganze in eine Diskussion ausarten konnte. „Er schreibt, dass ..." Sie hielt inne, um genauer zu lesen. „Dass Niall eine Person mitbringen kann, wenn er das möchte. Eine einzige."

„Das bin dann wohl ich", sagte Zayn sofort und schlang wie zur Bestätigung den Arm um meine Schultern. „Ich habe eine Kampfausbildung."

Gemma seufzte. „Pass bloß auf, dein Testosteron kommt dir gleich aus. Wer mitfährt, können wir dann immer noch besprechen." Sie sendete eine kurze Nachricht und legte das Handy dann weg. „Meine Fresse, ist das anstrengend, mit einem Mann zu schreiben, der Fanatiker, Psycho und Kidnapper in einem ist. Sorry, Maura, das ist dein Bruder, aber der Typ gehört sich doch in die Klapse."

Maura erwiderte nichts, doch das leichte Zucken ihrer Mundwinkel verriet, dass sie Gemma wohl in jedem Punkt zustimmte.

„Gut, der Plan steht endgültig." Übertrieben motiviert klatschte Anne in die Hände. „Lasst uns zur Umsetzung kommen." Ihr Blick fiel auf Geoff Payne, der noch immer so schlaff auf der Couch hing, als hätte er die ganze Nacht durchgebechert. „Was ist mit dir, Geoff? Interesse an einer Mitarbeit? Kann ich dir vertrauen?"

Wie ferngesteuert drehte sich Paynes Kopf in Mauras Richtung. Scheinbar hatte er noch immer nicht in vollem Ausmaß begreifen können, dass sich Maura Gallagher lebend und wohlauf im selben Raum befand wie er.

Schließlich schluckte er schwer. „Was kann ich tun?"

„Gut." Anne nickte ihm knapp zu. „Worüber kommunizierst du normalerweise mit Ken? Handy? Dann warten wir doch jetzt mal ab, ob er dich kontaktiert und sich danach erkundigt, ob wir tatsächlich kooperieren, was er tun wird. Das bestätigst du natürlich."

Payne wirkte weiterhin wie bedröppelt, den Blick in einer Mischung aus Schock und Ehrfurcht auf Maura geheftet, zog das Smartphone jedoch hervor und gewährte Anne Einblick in seine Nachrichten. Gemma studierte mit schmalen Augen etwas auf ihrem eigenen Handy, während Quinn wie verrückt auf dem Laptop herumtippte und dabei leise mit Maura sprach.

Ich atmete tief durch. Plötzlich schien alles so ruhig zu sein. So geklärt. Als könnten wir nun nichts anderes mehr tun, als hier zu sitzen und zu warten. Es fühlte sich unwirklich an. Wie die altbekannte Ruhe vor dem Sturm.

Ich lehnte mich an Zayn und legte den Kopf auf seiner Schulter ab, versenkte die Nase im Stoff seines Langarmshirts, atmete seinen Duft tief ein. Zayn, der auf diese kurze Zeit und über alle möglichen und unmöglichen Stolpersteine hinweg immer mehr zu einem Anker geworden war. Ich vertraute darauf, dass er es schaffte, mich auch im nächsten Sturm festzuhalten und davor zu bewahren, mitgeschleudert zu werden.

In mich selbst hatte ich dahingehend nämlich eher weniger Vertrauen.

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Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now