36) Verhör

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„Niall." Wie auch schon bei unserer letzten Begegnung im Vernehmungsraum, saß Zayn auf der Wandseite des Tischs. In mildem Erstaunen beobachtete er mich dabei, wie ich mir den zweiten Stuhl hervorzog. „Was verschafft mir die Ehre?"

Ich schwieg. Meine Unterlippe war irgendwie zerknautscht und schmeckte furchterregend nach Blut, so heftig hatte ich allein in den vergangenen fünf Minuten darauf herumgekaut.

„Niall wird Ihnen ein paar Fragen stellen." Diesmal betrat Ken den Raum mit mir und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an der Tür. Sein Lächeln war so spitz, dass mir davon schlecht wurde. „Oder es wenigstens versuchen, nachdem meine Profis leider nicht zu Ihnen durchdringen konnten."

Zayn hob eine einzelne Augenbraue. Im Gegensatz zu gestern wirkte er heute zwar nicht mehr ganz so zerschlagen, aber die Erschöpfung drang dennoch aus jeder Faser seines Seins. Seine sonst so intensiven, braunen Augen waren stumpf, seine Wangen blass, die Ringe unter seinen Augen umso tiefer.

Und dennoch war er immer noch so attraktiv.

Wie lautete dieses dumme Sprichwort? Einen schönen Menschen entstellt nichts? Auf Zayn traf das allemal zu.

Ein schöner Mensch, dem ich nun mit meinem Bullshit zu Leibe rücken musste.

Ich schluckte schwer und bemühte mich, ihn nicht noch länger wie ein verstörtes Reh anzustarren, doch leider schien meine Mimik für Zayn ein offenes Buch zu sein. Begreifen machte sich auf seinem Gesicht breit, während er verfolgte, wie ich zögerlich die Ellbogen auf dem Tisch abstützte und mich ein Stück vorbeugte.

Er ahnte, was ihm blühte.

Ken machte unterdessen keine Anstalten, den Raum zu verlassen. Seine eindringlichen Augen bohrten sich in meinen Hinterkopf, aufmerksam und erwartungsvoll.

Glasklar: Der Anführer der Rebellen wollte eine Vorführung meiner Fähigkeiten.

„Ah. Ich verstehe." Zayn klang so ruhig. Wieso klang er immer noch so ruhig? Er wusste so gut wie ich, dass ich es durchaus fertigbringen könnte, mich durch seinen Kopf zu graben, immerhin hatten wir beide es gestern im Parkdeck des St. Hedwig miterlebt. „Dann wünsche ich viel Erfolg."

Er fing meinen Blick auf und ich glaubte, etwas in seinen Augen flackern zu sehen, konnte es jedoch nicht benennen. Seine Körpersprache vermittelte eindeutige Ergebenheit, als würde er sich seinem Schicksal einfach fügen. Entspannt lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, faltete die Hände im Schoß und sah mich auffordernd an. Sein Blick war so durchdringend, dass mir das Blut in die Wangen schoss.

Irgendetwas an der Spannung, die bei jeder einzelnen Begegnung zwischen uns zu hängen schien, war so unfassbar persönlich, fast schon privat. Als wäre jede andere Person, die sich mit uns in einem Raum befand, ein Eindringling.

Zayn verfügte über eine Wirkung, die mich dazu brachte, wie ein vom Licht angezogenes Insekt auf ihn zuzusteuern, obwohl ich sehr gut wusste, dass von ihm Gefahr ausging. Gefahr explizit für mich, wenn man bedachte, wie dringlich es für die OOA, seinen Arbeitgeber, zu sein schien, mich in die Finger zu kriegen.

In diesem Fall schien mir der Vergleich mit dem Insekt sogar sehr passend zu sein. Zayn war das todbringende Licht, das mich verbrennen konnte, ich die Motte, die sich trotz besseren Wissens zu ihm hingezogen fühlte.

Darüber hinaus war ich im Gegensatz zur Motte aber auch noch ein hoffnungsloser Fall.

„Möchtest du ..." Ich räusperte gegen den Kloß in meinem Hals an. „Möchtest du doch etwas ... sagen?"

Zayns Augenbraue wanderte noch ein Stück höher. „Verbal, meinst du?"

Sein trockener Tonfall irritierte mich. Sollte das etwa Sarkasmus sein?

Oblivious (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt