26) Nicht 'jeder andere'

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Ich konnte nicht sonderlich lange bewusstlos gewesen sein, denn als ich wieder zu mir kam, befand ich mich noch immer in Tildas Büro. An der Wand neben der Tür, gegenüber vom Schreibtisch.

Mein Kopf pochte, mein Blickfeld flimmerte an den Rändern ganz merkwürdig und mein Gehör meldete ein unablässiges, stetiges Fiepen, das mich unangenehm an Tinnitus erinnerte.

Direkt vor mir saß Tilda in der Hocke, die kühlen Hände beidseitig an meinen Wangen, ein alarmiertes Lodern in ihren sonst so gelassenen, grauen Augen.

„Geht es dir gut?" Mit dem Daumen berührte sie etwas in meinem Mundwinkel, woraufhin sich die Falten in ihrer Stirn vertieften. „Niall?"

Ich schaffte es nicht, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen.

Ächzend stemmte ich die Handflächen gegen den nur mäßig sauberen Boden des Büros, um mich in eine aufrechtere Position zu bringen. Ich fühlte mich wie ein kraftloser, schimmeliger Kartoffelsack.

Der Schmerz hinter meinen Schläfen war überwältigend und als ich den Kopf ein klein wenig zur Seite wandte, um einen Blick zur Tür zu werfen, konnte ich einen Schmerzenslaut nicht unterdrücken.

Tilda umfasste meine Wangen ein wenig fester. In ihren Augen tobte ein Sturm. „Nicht bewegen. Gleich kommt jemand."

Mein Mund fühlte sich merkwürdig verklebt an und mit jedem zittrigen Atemzug nahm ich einen verdächtig metallischen Geschmack in meine Lungen auf.

Unwillkürlich hob ich die Hand an meine Lippen und als ich sie zurückzog, leuchtete mir helles Blut entgegen. Irritiert schrak ich zurück, starrte meine rotbenetzten Finger an. Nasenbluten? Etwa vom Aufprall auf den Boden?

Ich konnte nicht richtig denken. Mein Geist schien vollkommen leer zu sein, gleichzeitig jedoch völlig überfordert.

„Nicht." Tilda zog meine Hand zurück, als ich auch nach meinen tutenden Ohren tasten wollte, als könnte ich sie mittels bloßer Berührung heilen. „Ruhig."

Noch mehr Blut befand sich an meinen Fingern. Und da war Blut auf meinem Shirt, wie ich eine Sekunde später entsetzt feststellte. Nicht nur am Kragen unter meinem Kinn, sondern auch an der Schulterpartie.

„Tilda." Meine Stimme klang schrecklich, als ich es endlich schaffte, sie zum Einsatz zu bringen. „Was ist passiert?"

„Ich bin mir nicht sicher." Die Trainerin musterte mich eindringlich. „Dein Geist hat unerwartet heftig auf meinen emotionalen Einfluss reagiert. Als hätten die Emotionen etwas in dir getriggert."

So hatte es sich definitiv auch angefühlt.

Erschöpft ließ ich beide Hände in meinen Schoß hinabfallen, lehnte den Kopf vorsichtig zurück an die Wand und wollte die brennenden Augen schließen, um ein wenig Ruhe zu finden, doch Tilda ließ es nicht zu.

„Nichts da, junger Mann." Energisch klopfte sie an meine Wangen. „Wach bleiben. Bis wir wissen, was in deinem Kopf abgeht."

Eine hervorragende Idee.

Das würde mich auch brennend interessieren.

„Da waren..." Ich schluckte schwer. „Da waren ... sind Bilder, die ich nicht kenne. Erinnerungen. Es sind meine eigenen, das spüre ich, aber ich kann mich nicht daran erinnern, sie gesammelt zu haben? Wie ... wie ist das möglich?"

Auf Tildas Gesichtszügen zeichnete sich eine Abfolge unterschiedlichster Empfindungen ab. Da war Verwirrung. Dann Begreifen. Schock. Bestürzung. Und das alles so schnell, dass sich mein Kopf aufs Neue zu drehen begann.

Oblivious (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt