44) Wendepunkte - 1

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Kens Worte aus der letzten Besprechung hallten noch immer in meinen Ohren wider, als ich mich vom Beifahrersitz des Kleinbusses schob und wartete, bis die anderen es mir gleichgetan hatten.

Die mehrstündige Fahrt neben dem Anführer der Rebellen hatte mich endgültig zu einem Nervenbündel werden lassen.

Ich hatte keinen Plan.

Ich wusste nicht, was ich hier ausrichten wollte oder sollte.

Und die emotionale Apokalypse namens Harry in meinem Kopf machte das Ganze nicht besser.

„Du hättest uns wenigstens verraten können, dass wir zu deiner Universität müssen." Wie erwartet befand sich Ken binnen Sekunden an meiner Seite. Er ließ sich einfach nicht abschütteln und ich konnte nur hoffen, dass sich das im weiteren Verlauf der Mission noch veränderte. „Es hätte die Fahrt sehr vereinfacht."

„Hm." Ich zuckte die Schultern und rückte unauffällig ein Stück von ihm ab. „Hätte."

Ken lachte in sich hinein. Im Licht der Straßenlaternen auf dem Universitätsparkplatz glänzten seine Bartstoppel beinahe golden. „Du hast gelernt, wie du Wissen für deinen Vorteil nutzen kannst, hm?"

„Ich hatte gute Vorbilder."

Zayns Schnauben hinter mir müsste eigentlich unhörbar sein, aber ich vernahm es trotzdem. Ich konnte sein süffisantes Grinsen beinahe riechen, und der Drang, ihm trotz allem endlich mal einen Tritt zu versetzen, stieg ins Unermessliche.

„Ah, ich verstehe." Ken klang so überzeugt, dass mein Herz einen Schlag aussetzte. „Anne hat ganze Arbeit geleistet."

Erleichterung spülte über mich hinweg, auch wenn es mir leidtat, dass er nun wieder Anne ins Visier nahm. Ob er etwas von der seltsamen Anziehung zwischen Zayn und mir ahnte? Ich war mir nicht sicher.

Ken gehörte definitiv zu der aufmerksamen Sorte Mensch, die problemlos zwischen den Zeilen lesen und Schwingungen auffangen konnte. Es wäre also durchaus möglich, dass er längst einen Verdacht hegte – und befürchtete, ich könnte wie Zayn zu der gegnerischen Seite überlaufen.

„Dein Vertrauen in meine Fähigkeiten ist schmeichelnd, Ken." Anne, die mit einer mir unbekannten Rebellin das Schlusslicht unserer kleinen Gruppe bildete, seufzte. „Aber wie du weißt, verzichte ich lieber auf deine Komplimente."

„Schon gut, Anne." In übertriebenem Bedauern winkte Ken ab. „Noch immer schade, aber leider nicht zu verändern."

Ich warf einen Blick über die Schulter, streifte den von Zayn, dann den von Anne. Während Zayn mir neckend zuzwinkerte, richtete Letztere die Augen starr auf Kens Hinterkopf. Reuben, Nadja und die fremde Rebellin mit den dunkelroten Haaren enthielten sich der Diskussion.

Irgendwie eine unangenehme Situation. Es war mir zuvor nicht richtig bewusst gewesen, aber die Bekanntschaft zwischen Anne und Ken reichte Jahrzehnte zurück – Jahrzehnte, von denen sicherlich nicht alle durchweg negativ gewesen waren.

Es musste ein Schlüsselereignis gegeben haben, das Anne nun dazu veranlasste, den Anführer der Rebellen so zu verachten. Ein Schlüsselereignis, bei dem meine Mutter eine Rolle gespielt hatte.

Ken legte einen Finger an sein Headset – zwar könnte er auch ohne technische Vorrichtung mit seinen Leuten kommunizieren, aber angesichts dessen, dass wir in ein Herzstück der OOA vordrangen, hatte er sich dazu entschieden, zusätzliche Vorkehrungen zu treffen.

Unsere mentalen Fähigkeiten konnten OOA-Agenten mittels ihrer medikamentösen Waffen massiv einschränken. Es reichte völlig, uns aus sicherer Entfernung eine Injektion hochkonzentrierten O-Nesciols in den Nacken zu schießen. Zwar beeinflusste das Medikament natürlich nach wie vor nicht die Genmutation an sich, dämpfte aber die Ausprägungen und sorgte für hässliche Nebenwirkungen.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now