30) Cognizant

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Unsanftes Rütteln holte mich irgendwann aus dem Nichts.

Wie vom Blitz getroffen schrak ich hoch – nur um mir prompt den Kopf an etwas zu stoßen. Ein unterdrückter Schmerzenslaut drang an meine Ohren, und als ich mich ächzend zurücksacken ließ, schwebten Harrys vertraute, grüne Augen vor mir. Er rieb sich mit verzerrtem Gesicht das Kinn, mit dem meine Stirn offenbar kollidiert war.

„Oh." Ich räusperte mich, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. „Tut mir leid. Ich war..."

„Du warst im Instant-Verteidigungsmodus, ich weiß." Müde lächelte er auf mich hinab, und da erst ging mir auf, dass ich quer auf der Rückbank lag, die Beine an der Tür angewinkelt und den Kopf wie auf ein Kopfkissen in Harrys Schoß gebettet. „Ist okay."

Verlegen rieb ich mir über die Augen, wobei ich überlegte, ob ich es riskieren konnte, mich aufzusetzen, ohne dabei gleich wieder umzukippen. „Wie lange war ich weg?"

Harry reckte den Hals, um einen Blick auf das Armaturenbrett des Wagens zu erhaschen. „Gut zwei Stunden." Er senkte seine Stimme zu einem Murmeln. „Aber so wie es aussieht, sind wir sowieso bald da. Zumindest sind wir nicht mehr auf irgendwelchen Schnellstraßen unterwegs, sondern innerorts."

Das erklärte zumindest das Gerüttel und die ganzen Kurven.

Erneut räusperte ich gegen die Trockenheit in meinem Hals an. „Wohin ... wohin fahren wir überhaupt?"

„In Sicherheit", schaltete sich eine weibliche Stimme vom Fahrersitz aus ein. „Wir bringen euch in Sicherheit. Wir sind auf eurer Seite."

Harrys Schnauben sprach Bände. „Ja. Niall, das behaupten sie schon seit zwei Stunden, weigern sich aber trotzdem, Auskunft zu geben, wer sie sind und was sie wollen."

Panik begann in mir zu brodeln. „OOA?"

Ehe Harry zu einer Antwort ansetzen konnte, gab der männliche Beifahrer ein keckerndes Lachen von sich.

„OOA? Wir?" Wieder lachte er. „Junge, wir sind die Nemesis der OOA."

Die Fahrerin zischte ihm etwas zu, zu unterdrückt, um es hier hinten zu verstehen, und der Beifahrer seufzte übertrieben, hüllte sich jedoch wieder in Schweigen.

„Die OOA hat das St. Hedwig bis zu den Grundmauern gefilzt", teilte uns dann die Frau mit ruhiger, gefasster Stimme mit. Dem Klang nach konnte sie noch nicht besonders alt sein, vielleicht um die Dreißig. „Euer Fluchtfahrer wurde aufgehalten. Sie hätten euch überwältigt und in eine ihrer Anstalten gesteckt."

„Und ihr seid etwa die großen Retter?" Harrys Tonfall triefte nur so vor Abfälligkeit. „Denen wir jetzt blind vertrauen sollen?"

Natürlich sah ich nicht besonders viel, aber ich hatte den Eindruck, dass die Frau mit den Achseln zuckte. „Im Moment bleibt euch nicht viel anderes übrig, Jungs."

Harry knirschte hörbar mit den Zähnen, und das Geräusch war so schrecklich, dass ich mich letztendlich doch dazu entschloss, mich aufzurichten. Ächzend stemmte ich mich gegen das Polster, bis ich einigermaßen aufrechtsaß, mit der Schulter seitlich an der Rückenlehne abgestützt.

Harry musterte mich besorgt. „Alles klar?"

Ich verzog das Gesicht. „Mir ist schlecht."

Mitfühlend presste er die Lippen aufeinander, ehe er abrupt in seine Hosentasche griff und ein Taschentuch zutage förderte. Fragend sah er mich an, die Hand mit dem Tuch auf halbem Wege zu meinem Gesicht erhoben. „Darf ich?"

Ich hinterfragte ihn gar nicht. Vermutlich hatte ich immer noch Blut im Gesicht, das entweder von einer Schramme herrührte oder aus meiner Nase geronnen war. Oder es war einfach nur Dreck.

Oblivious (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt