8) Erkenntnis(se)

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Zayn brachte mich wortwörtlich bis zu meinem Bett.

Und anschließend weigerte er sich, sich in seine eigene Wohnung zu verziehen, bis er sichergestellt hatte, dass ich alles Nötige in greifbarer Nähe hatte.

„Hinsetzen", befahl er mir in einem Tonfall, der keinerlei Widerspruch duldete, wobei seine Stimme ganz und gar nicht mehr so samtig klang, wie es normalerweise der Fall war.

Kurz konnte ich nur dümmlich glotzen.

Einen solchen Befehlston hätte ich meinem ruhigen, charmanten Nachbarn gar nicht zugetraut.

Und da ich beim besten Willen nicht genug Energie besaß, um mich zu sträuben, fügte ich mich einfach meinem Schicksal und ließ mich aufs Bett fallen. Schwerfällig und mühsam darauf bedacht, nicht versehentlich einzuschlafen – auch wenn ich nicht so recht wusste, wie ich nach einem solchen Anfall schlaflos bis zum Abend durch- und meinen normalen Schlafrhythmus einhalten sollten.

Nachdenklich beäugte ich den Thermobecher, den Zayn mir pflichtbewusst aus der Hand genommen und auf dem Nachttisch abgestellt hatte, nachdem ich ihn auf der Treppe beinahe fallengelassen hätte.

Dieser blöde Tee schien tatsächlich ein wenig zu wirken.

Welche Inhaltsstoffe dafür wohl verantwortlich waren? Oder lag es gar nicht am Inhalt, sondern vielmehr an den Erinnerungen, die er ins Unterbewusstsein rief? Das war zumindest Bernard Quinns Theorie – immerhin begleitete mich das Gebräu schon von Kindesbeinen an.

Was auch immer.

„... irgendetwas?" Zayns Stimme, nun wieder deutlich sanfter als zuvor, riss mich aus meinen Gedanken, und als ich aufblickte, war er gerade dabei, ein Glas Wasser neben dem Tee abzustellen. „Kann ich dir noch was bringen?" Er zögerte. „Ich weiß ja nicht, was abgeht, aber vielleicht solltest du dich hinlegen und eine Runde schlafen."

Ganz sicher nicht.

Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Nein, alles gut. Ich hab alles. Danke."

Zayn wirkte nicht überzeugt, nickte jedoch, die Stirn in so tiefe Falten gelegt, dass es vom bloßen Hinsehen wehtat. Ich schluckte schwer, als mir aufging, dass ich meinem Nachbarn allmählich definitiv eine Erklärung schuldig war. Eine, die wenigstens an der Wahrheit kratzte, anstatt ihm durch und durch Lügen aufzutischen.

Schweigend verfolgte ich, wie Zayn seine Sachen zusammensuchte, die er vorhin achtlos im Wohnraum verteilt hatte, innerlich mit mir kämpfend, ob ich jetzt sofort mit einem Stückchen Ehrlichkeit herausplatzen sollte – als mir schlagartig etwas aufging.

Augenblicklich saß ich kerzengerade da, umklammerte mein Handy wie ein Schraubstock, horchte alarmiert in mich hinein.

Nichts.

Da war nichts.

Mein Kopf war nach wie vor schwer, meine Denkprozesse irgendwie zäh, und hinter meinen Schläfen pochte und schmerzte es – aber es war still. Kein Laut war zu vernehmen. Kein Flüstern, kein unterdrücktes Gemurmel und auch keine laute Stimmen, deren Worte sich zur Unerkennbarkeit überschlugen.

Irritation machte sich in mir breit.

Wie war das möglich? Das war der schlimmste Anfall in meinem ganzen Leben gewesen, eine solche Eskalation hatte ich noch nie erlebt. Ohne Hilfe von Zayn hätte ich es keine drei Schritte weit aus der Uni geschafft, geschweige denn nach Hause.

Aber der wirklich ausschlaggebende Punkt: Ich hatte keine Tablette genommen.

Und trotzdem sollte es jetzt ... vorbei sein? Einfach so?

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now