48) Spion?

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Am nächsten Tag war die Tür zum Dach verschlossen. Als zweite Option versuchte ich, ganz offiziell durch die Haustür nach draußen zu kommen, doch auch hier wurde mir der Durchgang verweigert.

„Sorry, Kumpel." Der Wächter an der Tür brachte aufrichtiges Bedauern und sogar einen Hauch von Ehrfurcht zum Ausdruck. „Aber hier kommst du nicht raus."

Ich schnaubte trotzig. „Schön. Wo komme ich dann raus?"

Der Typ schüttelte den Kopf. „Nirgends."

„Aha." Ich wandte mich ab. „Gut zu wissen."

Er rief mir noch irgendetwas hinterher, doch ich ignorierte ihn. Ich brauchte keine Rechtfertigungen oder Erklärungen, ich konnte mir schon denken, dass dieser Befehl von ganz oben kam. Von Ken.

Ich Idiot hätte ihm gestern nicht so auf den Zahn fühlen sollen. Was hatte ich damit schon erreicht? Richtig, nichts. Außer, dass er nun meinen Freilauf eingeschränkt hatte, um mich besser im Auge behalten zu können.

Welch wundervolle Art und Weise, mir seine ach so ausgeprägte Onkelliebe zu demonstrieren.

Frustriert schlug ich mich durch das Gewimmel in der Haupthalle. Innerhalb des Gebäudes hatte ich nirgendwo ausreichend Empfang, um die Dateien zu öffnen – zumindest nicht in den Ecken, zu denen mir Zugang gewährt wurde. Absicht? Vielleicht.

Dann blieb mir nur noch die Alternative, mich ins WLAN einzuklinken. Eine ziemlich nutzlose Alternative, wenn man bedachte, dass ich das Passwort nicht besaß und man es mir bei Nachfrage garantiert nicht einfach schnell zustecken würde.

Die Petrischale hatte ich heute Morgen an Anne abgetreten, die sicherlich mehr Ahnung darüber verfügte, wie man den Inhalt am besten am Leben erhielt. Mit dem Resultat, dass ich nun nur noch Handy und SD-Karte illegal mit mir herumtrug. Ein schwacher Trost, aber immerhin.

Langsam betrat ich den mittlerweile vertrauten Besprechungsraum, verharrte einige Momente lang an der Tür. Wie ich diese Versammlungen verabscheute – insbesondere jetzt, als mir schlagartig aufging, dass man Nadja kurzerhand durch eine neue Person ersetzt hatte. Bei der neuen Person handelte es sich um niemand Geringeren als Rahel, die auch beim Einbruch ins Labor mit von der Partie gewesen war.

Faszinierend, wie selbstverständlich es zu sein schien, dass Kollegen zu Tode kamen. Wie schnell man darüber hinwegsah und wie lieblos man deren Position wieder besetzte, ohne den Funken von Gedenken oder Respekt.

Kens Blick brannte auf mir, als ich nähertrat und mich auf meinem üblichen Stuhl niederließ. Ich begriff nicht, was ich zu dieser Lagebesprechung beitragen sollte. Wollte er mich nur als Maskottchen der Rebellion in den Stuhlkreis integrieren? Sozusagen als hübsche Deko?

Verstohlen sah ich mich um, streifte Kens Laptop mit einem schnellen Blick. Wenn irgendwo ein Zettel mit dem WLAN-Passwort herumlag, dann sicherlich in Kens Büro. Dafür, dort einzubrechen, wäre genau jetzt wohl der beste Zeitpunkt, aber nun gut. Ich musste die Lage so akzeptieren, wie sie war.

Unzufrieden lehnte ich mich zurück, lauschte Kens Bericht nur mit halbem Ohr, ebenso dem anschließenden Applaus der übrigen Anwesenden.

„Nicht zuletzt haben wir diesen Erfolg meinem lieben Neffen zu verdanken, der uns tatkräftig zur Seite gestanden hat." Die Art und Weise, wie er mein Dasein als Neffe betonte, ließ Übelkeit in mir aufsteigen. „Die Rebellion hat mit ihm ein wertvolles Mitglied gewonnen, wie auch schon zuvor mit seiner Mutter."

Erneut brandete Applaus auf, und dann erst begriff ich, wo diese Hochstimmung herrührte. Diese Leute hier dachten, die Enzymforschung wäre vollkommen zerstört. Sie glaubten, mit diesem Einbruch wieder mehrere Jahrzehnte Sicherheit gewonnen zu haben – Zeit, in der sie Quinn töten und die OOA stürzen konnten.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now