12) So wie du

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Der Bus glich einem Höllenloch.

Ein Höllenloch mit viel zu vielen Menschen.

Darauf bedacht, möglichst großen Abstand von den übrigen Fahrgästen zu halten, schob ich mich auf einen der Einzelsitze direkt am mittleren Ausgang. Dadurch brachte ich gleichermaßen Distanz zwischen den Busfahrer ganz vorne sowie zu den anderen, wenn auch recht wenigen Leuten, die sich im hintersten Abteil tummelten.

Normalerweise saß ich auf einem Sitze direkt hinter dem Busfahrer, um eine kleine Blase für mich selbst zu gewinnen und dem Trubel im restlichen Fahrzeug zu entgehen, aber das war heute aus bekannten Gründen keine Option.

Ich hatte kein Interesse daran, unfreiwillig Gedanken, Bilder und Emotionen aus dem Geist des Busfahrers zu sammeln und mich unnötig noch länger mit meiner Abnormalität herumzuschlagen.

Abnormalität.

Eine erschreckende Bezeichnung, aber wohl die einzige, die mich selbst und alles, was um mich herum und in mir geschah, treffend beschrieb.

Abnormal war in diesem Augenblick außerdem auch die Geschwindigkeit, mit der der Bus durch die abendlichen Straßen der Stadt jagte. Kein Wunder, immerhin war er dem offiziellen Zeitplan fast zehn Minuten hinterher, und der Fahrer schien ganz verbissen darauf zu sein, diese zehn Minuten mithilfe halsbrecherischer Raserei wieder aufzuholen.

Einerseits wünschte ich mir, er würde mehr Rücksicht auf unser aller Leben nehmen und mit dem Fuß hin und wieder das Bremspedal finden, aber andererseits kam mir diese Eile gerade recht.

Der Grund? Nun ja, ich musste am städtischen Fußballstadion in die Linie 3 umsteigen. Und der nächste Bus der Linie 3 würde dort in ziemlich genau zwei Minuten eintreffen. Und der übernächste erst wieder in einer Stunde.

Eine Stunde Wartezeit wäre mir definitiv zu viel.

Zähneknirschend warf ich einen Blick auf die Uhr, dann auf die Straße und schließlich zur Fahrplananzeige auf dem Bildschirm des Busses. Wenn der Fahrer diese Geschwindigkeit beibehielt und wir die Ampel dort vorne noch bei Grün erreichten, hatte ich eventuell eine Chance, meinen Anschlussbus noch zu erwischen.

Ich hoffte sehr, dass dieser Fall eintrat.

Normalerweise machte es mir absolut nichts aus, einfach vom Stadion aus zu Fuß nach Hause zu marschieren. Knapp eineinhalb Kilometer waren immerhin kein Weltuntergang.

Aber heute Abend ... nun ja.

Heute wollte ich einfach nur nach Hause.

Und allein mit meinen Gedanken sein. Mit meinen eigenen Gedanken, wohlgemerkt.

Vielleicht konnte ich ja üben, die Schwingungen der Nachbarn auszublenden, falls diese auf den Plan traten?

Entsetzt ging mir auf, dass ich dann doch vermutlich auch Zayn spüren würde. Seine Emotionen und Gedanken, alles.

Diese Erkenntnis ließ mich das Gesicht verziehen.

All den Kram von fremden Menschen wahrzunehmen, war schon befremdlich und fürchterlich genug. Aber von Leuten, die ich gut kannte und die mir etwas bedeuteten? Die eventuell ganz bewusst Dinge für sich behielten, weil diese für sie zu ihrem Privatleben gehörten, in dem andere nichts zu suchen hatten?

Fuck.

Meine Unterlippe schmerzte beißend und sandte den unverkennbaren, metallischen Geschmack von Blut durch meinen Mund, so heftig hatte ich schon darauf herumgekaut.

Wie sollte ich jemals wieder irgendjemandem normal unter die Augen treten, wenn ich immer eine Kostprobe von seinem Geist auf dem Silbertablett serviert bekam?

Oblivious (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt