7) Zeitbombe

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Der Vormittag verging zäh.

Ebenso zäh waren meine Denkprozesse, aber zur Abwechslung schob ich das nicht auf mich selbst, sondern auf unseren Dozenten der zweiten Vorlesung. Der redete nämlich auch nach geschlagenen eineinviertel Stunden noch immer so monoton, als hätte er eine altersschwache Batterie verschluckt, und beförderte sämtliche Zuhörer in den Halbschlaf.

Was für eine Zeitverschwendung.

Louis neben mir war längst dazu übergegangen, sich mal wieder den Magen mit Müsliriegeln vollzuschlagen und nebenbei durch das heutige Angebot der Kantine zu scrollen. Sein enttäuschtes Seufzen, das er bei jedem Gericht von sich gab, das ihm nicht schmeckte, machte mich allmählich kirre.

Irgendwann versetzte ich ihm unter dem Tisch einen Tritt. Sein daraus resultierendes, empörtes Gurgeln war Motivation genug, es gleich noch ein zweites Mal zu tun. Eilig brachte ich meine Füße in Sicherheit, als Louis den Angriff prompt mit gleicher Münze zurückzahlen wollte.

Wütend stierte er mich an, der Mensaplan für den Moment völlig in Vergessenheit geraten.

„Niall James Horan." Als er einsah, dass er meine Füße nicht erreichen würde, gab er sich damit zufrieden, mir eine Ecke seines Lineals in den Ellbogen zu pieken. „Was ist dein Problem?"

Nachdenklich verzog ich das Gesicht. „Mir ist langweilig."

„Ach. Und das ist für dich ein Grund, zu fremdaggressiven Verhaltensweisen zu neigen?"

Mein Nicken war sehr bestätigend.

Louis seufzte. „Schön." Andächtig legte er sein Handy weg, um die Hände vor sich auf dem Tisch zu falten. „Kann ich irgendetwas tun, um deiner Langeweile ein Ende zu bereiten?"

Prüfend musterte ich ihn. „Wir könnten jetzt schon zum Mittagessen gehen."

Mein bester Freund tat so, als müsste er scharf nachdenken, doch ich konnte ihm an der Nasenspitze ablesen, dass er gegen einen solchen Vorschlag zur Hölle nochmal nichts einzuwenden hatte.

Irgendwann erhob er sich so abrupt, dass ich aus den Augenwinkeln sah, wie ein paar Leute direkt hinter uns zusammenzuckten. Sicherlich hatte er ihren seligen Halbschlaf unterbrochen.

„Okay." Ohne große Umschweife räumte er in einer einzigen Bewegung seines Arms all die auf dem Tisch ausgebreiteten Habseligkeiten in seinen Rucksack, ehe er diesen schulterte. „Dann los."

Obwohl wir ziemlich in der Mitte des Saals saßen, über ein Dutzend Beine hinwegklettern mussten und sich garantiert die gesamte, anwesende Studentenschaft an der unerwarteten Darstellung erfreute, schien der trottelige Dozent vorne an seinem Pult nichts davon mitzubekommen.

Er war viel zu vertieft darin, Zeile für Zeile von seinem Zettel abzulesen und dabei zu vergessen, dass er eventuell auch in den Folien der PowerPoint vorwärtsklicken sollte. Demnach bemerkte er nicht, dass wir uns unter großem Aufruhr selbst entließen und die Stufen des Saals hinaufsprinteten.

Vielleicht hörte er am Ende noch das Klicken der mächtigen Tür, aber zu dem Zeitpunkt standen wir natürlich schon auf dem Gang und beglückwünschten einander grinsend zu unserem vorzeitigen Abmarsch.

Und zu unserem darauffolgenden, erfolgreich frühen Mittagessen. Pizza.

Ich schöpfte bereits ernsthafte Hoffnung auf einen guten Tag.

Doch nur wenig später musste ich mich eines Besseren belehren lassen.

Louis hatte sich erst vor wenigen Minuten zu seinem Kurs aufgemacht und mich, der ich erst eine Freistunde und danach nochmal eine Vorlesung hatte, mit meinem Laptop und einem Essay an einem ruhigen Tisch im Keller zurückgelassen – als sich in meinem Geist etwas zu regen begann.

Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now