6) Paranoia

250 50 40
                                    

(Ein sehr kurzes Kapitel, aber sinngemäß gehört es sich einfach einzeln, I'm sorry.)

---------------------

Ich spürte es zum ersten Mal, als ich am nächsten Tag das Haus verließ.

In aller Herrgottsfrühe, aber wie immer war ich trotzdem spät dran, weil ich es selbstverständlich nicht geschafft hatte, gemäß meinem Wecker aus dem Bett zu kommen.

Ich war gerade dabei, die knarrende Tür des hölzernen, morschen Windfangs hinter mir zuzuziehen und gleichzeitig einen Buttertoast in mich hineinzustopfen, als mein Nacken zu kribbeln begann.

Zuerst ignorierte ich es. Dafür war ich viel zu sehr in Eile und darauf versessen, den letzten Bus zu erwischen, mit dem ich pünktlich zur ersten Vorlesung fahren konnte, sofern mir der Anschlussbus nicht davonfuhr. Auch etwas, was ständig passierte.

Doch als ich dann über eine Erhebung im Boden stolperte und zu einem unfreiwilligen Halt kam, da ich all meine Energie darauf investieren musste, meinen wertvollen Toast zu retten, konnte ich es nicht länger ignorieren.

Mit gerunzelter Stirn hielt ich inne, den letzten Toastrest auf halbem Wege zu meinem Mund erstarrt. Noch immer kribbelte mein Nacken unangenehm. Fast so, als lägen jemandes Augen auf mir.

Langsam richtete ich mich auf, warf unwillkürlich einen Blick über meine Schulter. Um knapp sieben Uhr morgens waren die dunklen Straßen des dörflichen Vororts noch wie leergefegt – die Schul- und Kindergartenkinder nahmen in der Regel erst den nächsten Bus stadteinwärts – und ich war der Einzige, der mit seiner Hektik die morgendliche Straßenruhe störte.

Lediglich ganz vorne an der Straßenkreuzung, an der sich die Bushaltestelle befand, konnte ich ein paar bekannte Gesichter ausmachen, die sich wohl so wie ich dazu entschlossen hatten, vorbildlich zu sein und die erste Vorlesung des Tages nicht zu schwänzen. Irgendwann kannte man die Leute, die im selben Ort wohnten und ebenfalls an der Uni ausstiegen.

Zögerlich setzte ich mich wieder in Bewegung, wohlwissend, dass der Bus vermutlich in weniger als einer Minute auftauchen würde, doch das ungute Gefühl wollte einfach nicht von mir weichen. Mein Magen war merkwürdig flau und verstärkte sich in Kombination mit dem Kribbeln in meinem Nacken zu einem Rumoren, und irgendwie war da der Drang in mir, mich ständig umzusehen.

Nun gut.

Jetzt war es offiziell: Ich wurde paranoid.

Welch wundervoller Start in den Tag.

Ich zwang mich dazu, einen tiefen Atemzug zu nehmen. Dann beschleunigte ich meine Schritte wieder auf ein Höchstmaß, während ich mir den Rest des Toasts einverleibte, obwohl mein Appetit darauf auf ein Minimum gesunken war.

Hatte ich meinen Geldbeutel bei mir? Wenn ja, würde ich mir nachher in der Cafeteria sofort einen zuckrigen, fettigen Muffin holen müssen. Und wenn nein ... dann würde ich mir das Geld einfach von Louis abzwacken.

Das Kribbeln verschwand trotz der Aussicht auf den blöden Muffin nicht.

Er war präsent, als ich auf die letzten Meter zur Haltestelle noch einen halsbrecherischen Sprint hinlegen musste. Es war präsent, als ich schweratmend und unsportlich in den Bus hopste und dabei um ein Haar gegen eine der Haltestangen gekracht wäre. Und es war auch dann noch präsent, als ich einen Stehplatz am Fenster gefunden hatte und der Bus anfuhr.

Instinktiv drückte ich mich in die hinterste Ecke am Rand des Fensters, dem Verlangen nachgebend, mich so klein wie möglich zu machen.

Aus irgendeinem Grund raste mein Puls wie verrückt, ließ mir das Blut in den Ohren rauschen und ausnahmsweise war mein sonst so übervoller Geist wie leergefegt.

Hatte ... mich vorhin jemand beobachtet? Auf meinem Weg zu Haltestelle? Während ich meinen gottverdammten Toast inhaliert hatte?

Verwirrt starrte ich mein Spiegelbild im fleckigen Busfenster an. Das war doch absurd. Wer zum Henker sollte seine Zeit – noch dazu am frühen Morgen – darauf verschwenden, ausgerechnet mich zu beobachten? Oder überhaupt irgendjemanden?

Ich für meinen Teil war lediglich ein harmloser, introvertierter Student, der nicht wusste, wohin mit sich. Es gab für niemanden einen Grund, meinen Alltag auszuspionieren, in der Hoffnung, etwas Spannendes zu finden.

Das einzig Spannende an meinem Leben war mein Kopf und das, was sich dort nicht hineingehörte. Und das konnte man von außen ohnehin nicht beobachten. Auch nicht, wenn man sich wertvolle Stunden seines Schlafs um die Ohren schlug und sich unbefugterweise auf fremden Grundstücken herumdrückte.

Was für ein Blödsinn.

Schlagartig verwarf ich die Gedanken und versuchte, das Grummeln in meinem Magen zu ignorieren.

Ein langer Tag lag vor mir. Meine Sorge sollte sich einzig und allein darauf beschränken, die vielen Stunden, während der ich mit unzähligen Leuten konfrontiert werden würde, erfolgreich und vor allem ohne Zwischenfälle hinter mich zu bringen.

Zwischenfälle im Sinne von unerwünschtem Bullshit in meinem Kopf. Der gestrige Tag war gut gewesen. Vielleicht hatte ich ja Glück und mir waren zur Abwechslung mal wieder zwei gute Tage direkt hintereinander vergönnt.

Von dieser Hoffnung beflügelt, zog ich mein Smartphone hervor, um mir erst jetzt die PDF-Unterlagen für die anstehende Vorlesung herunterzuladen. Und die Erkenntnis dessen, dass wir bis heute dreiundzwanzig Seiten Literatur lesen hätten sollen, war genug, um mich die Sache mit dem potenziellen Beobachter vergessen zu lassen.

Zumindest temporär.

---------------------------

I know, erst eine halbe Ewigkeit nichts, dann nur knapp 1000 Wörter. Aber wie gesagt, der Cut hier war ein Muss😅

Ich schau, dass das nächste auf jeden Fall noch die nächsten Tage kommt🙂 Zur Zeit ist einfach ultra viel los.

Einen schönen Wochenstart und liebe Grüße!

Andi❤


Oblivious (Ziall)Where stories live. Discover now