51) Bericht - 1

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Keine Antwort folgte, als ich an Kens Bürotür klopfte.

Ich versuchte es erneut, diesmal ein wenig lauter, doch noch immer rührte sich nichts. Der Anführer der Rebellen schien nicht da zu sein.

Unruhig wandte ich mich um, fing noch ein letztes Mal Harrys Blick auf, bevor dieser durch die Tür in den Gang verschwand, in dem Anne während ihres Aufenthalts im Rebellenstützpunkt wohnte.

Wir hatten beschlossen, unsere Fragerunden gleichzeitig durchzuführen: Harry sprach mit seiner Mutter, ich mit Ken. Welches der beiden Gespräche den größeren Gewinn bringen würde, dürfte dahingestellt sein, aber der Versuch zählte.

Nach einem letzten, prüfenden Blick über die Schulter wagte ich es endlich, die Klinke hinabzudrücken. Eigentlich müsste abgeschlossen sein. In meiner Zeit bei den Rebellen hatte einige Dinge gelernt, darunter eben auch, dass Ken sein Büro penibel verriegelte, wenn er sich nicht darin befand.

Dennoch musste ich mich nun eines Besseren belehren lassen: Die Tür schwang auf, legte den Weg in Kens verlassenes, sorgsam geordnetes Büro frei.

Langsam trat ich ein. Es kostete mich sämtliche meiner Willenskraft, meinen Atem auf einem ebenmäßigen Level zu halten und nicht in Hysterie auszubrechen. Ob es klug war, mich ins Büro des Anführers zu stehlen, wo ich eigentlich ganz offiziell mit ihm reden wollte?

Sicherlich nicht, aber ich brauchte Antworten. So viele wie möglich. Und ich hegte den begründeten Verdacht, dass mir Kens Büro diese auch ohne dessen Anwesenheit liefen konnte.

So leise wie möglich verschloss ich die Tür hinter mir, zuckte zusammen, als diese ein kaum hörbares Klicken von sich gab. Dann erst drehte ich mich um, ließ den Blick durch den Raum schweifen.

Alles darin lag still und unverändert vor mir. Die Ledercouch in der linken Ecke, auf der ich selbst schon gesessen hatte, zusammen mit den Schnapsflaschen unter dem Tisch. Der mit mehreren Bildschirmen und Drucker ausgestattete Schreibtisch mittig an der hinteren Wand, die unzähligen Bücherregale entlang den Wänden, der niedrige Aktenschrank unter dem verstaubten Fenster, in direkter Reichweite des Schreibtischstuhls.

Die Dämmerung war schon weit vorangeschritten und der Lichteinfall dementsprechend schwach, doch ich wagte es nicht, den Lichtschalter zu betätigen, denn was, wenn einer der Rebellen den Schimmer unter dem Türspalt entdeckte? Hieß also, meine kleine, spontane Schnüffelaktion musste im Dunkeln stattfinden.

Auch recht.

Mit eingezogenem Kopf stahl ich mich zum Schreibtisch hinüber. Wo könnte Ken etwas aufbewahren, das er sogar vor seinen eigenen Leuten zu verstecken gedachte? Oder besser: Besaß er so etwas überhaupt? Immerhin lief er dadurch nur Gefahr, dass es entdeckt und gegen ihn verwendet wurde. Klüger wäre es definitiv, verfängliche Infos nicht aufzuheben, sondern sie direkt zu vernichten.

Das warf allerdings die Frage auf den Plan, wie klug Ken war. Nein, falsche Formulierung. Ich wusste ja, dass er klug war. Ich wusste um seine Fähigkeit, Dinge einzufädeln und Situationen einzuschätzen.

In meinen Augen bestand seine große Schwäche eher darin, es nicht lassen zu können, bei jeder Gelegenheit mit seinen Prinzipien zu strotzen. Dass er das Richtige tat, für das Richtige kämpfte und die richtigen Methoden einsetzte. Sollten also Beweise für den Verrat seiner Schwester existieren, waren diese sicherlich noch irgendwo zu finden.

Meine Fingerspitzen kribbelten, als ich mich auf dem Chefsessel niederließ und die Hände nach dem Laptop ausstreckte. Das Gerät stand aufgeklappt auf dem Schreibtisch und die On/Off-LED blinkte grün, es war also nur im Standby-Modus.

Probehalber berührte ich das Mousepad und zuckte prompt zusammen, als der Bildschirm aufflammte. Keine Passwortaufforderung, sondern der gewöhnliche, entsperrte Desktop.

Oblivious (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt