Mann gegen Mann

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Am frühen Morgen ließ der Quartiermeister das Deck von sämtlichen Stolperfallen wie Taurollen, Kisten und Werkzeugen freiräumen.

Anschließend befahl Thorsson „Alle Mann an Deck" und hielt vor der versammelten Mannschaft eine Ansprache. „Heute üben wir den Nahkampf, Leute! Lernt besonders von euren holländischen Kameraden, sie kennen sich darin bestens aus und - ah, hier und dort sehe ich zweifelnde Gesichter! Ihr glaubt mir nicht?" Er runzelte die Stirn, schaute die Männer nachdenklich an ... Einige sahen verlegen zur Seite.

Lorena wunderte sich gleichfalls. Warum gerade die Holländer? Aber das würde sich gleich bestimmt aufklären.

Ein grimmiges Lächeln blitzte über Thorssons Gesicht. „Doch, doch das stimmt!", versicherte er. „Ich erkläre es euch: Einst waren die Niederländer ein Volk von Kaufleuten und Händlern, dann brach der Aufstand aus und sie griffen zu den Waffen. In den ersten zwanzig Jahren mussten sie viele Niederlagen einstecken, bis sie die Kriegskunst erlernt und endlich die Spanier aus dem Land verjagt hatten. Inzwischen besitzen die Generalstaaten eine schlagkräftige Armee." Triumph schwang in seiner Stimme mit, voller Stolz reckte er das Kinn. Doch dann nahm seine Miene einen besorgten Ausdruck an. „Auf hoher See aber verfügen wir noch nicht über die nötige Kampfkraft, und das müssen wir ändern - und zwar sofort. Ihr sucht euch einen Übungspartner und trainiert Angriff und Abwehr, die Hiebe werden angetäuscht oder mit halber Kraft geführt. Fangt an!"

„Aye, aye!", brüllten die Matrosen, nun voller Feuer und Flamme, bezogen Position und begannen den Ringkampf. Es sah aus wie ein Tanz, noch ungelenk, zaghaft ... sie umkreisten einander, deuteten Schläge nur an und schauten von den Geübteren ab, wie sie agierten.

„Ihr macht das schon richtig ... nur zu, Männer, weiter so!", spornte Thorsson sie an. „Wir sind die Löwen der See!"

Daraufhin verloren sie die Unsicherheit, die Hiebe erfolgten härter und präziser. Währenddessen ging Thorsson von einem zum andern, griff hier und dort ein, unterwies, verbesserte, ließ die Übungen wiederholen und mahnte: „Vergesst niemals, dass die Spanier ausgebildete Soldaten sind, die strategisch vorgehen, während sich die Piraten wie eine wilde Hundemeute gebärden und blind zuschlagen. Falls wir geentert werden, habt ihr nur die eine Möglichkeit: Angriff! Setzt euch mit aller Kraft zur Wehr, und zwar sofort, ehe das Schiff unter euren Füßen versenkt wird."

Die Matrosen strengten sich noch mehr an; es ging ruppiger zu, rauer, wilder. Die Bewegungen wurden zielbewusster.

Es fehlte nicht mehr viel.

Die körperlichen Voraussetzungen brachten sie allein schon durch ihre Seemannsarbeit mit. Wendig, geschickt und wieselflink waren sie alle. Wer hoch in der Takelage bei Wind und Wetter herumkletterte, die Segel, schwer von Nässe, zusammenrollen und dabei das Gleichgewicht auf dem schwankenden Tau halten konnte, ohne von der Bramstenge heruntergefegt zu werden, der besaß die nötige Beweglichkeit, Schnelligkeit und Kraft. Darüber hinaus waren sie hart im Nehmen. Halb abgerissene Daumen und Leistenbrüche, geprellte Rippen, gestauchte Gelenke und Muskelschmerzen zählten nicht. Zuerst wurde die Arbeit erledigt, um den Rest mochte sich der Schiffsarzt oder Rasmus kümmern. Die Meisten von ihnen hatten bereits als Schiffsjungen angeheuert und waren allmählich zu Geschöpfen des Meeres geworden.

Die See war nichts für Schwächlinge, und schon gar nichts für Feiglinge.


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🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now