Waffenstillstand

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Die Besatzung der Zeelandia kämpfte sich weiterhin durch die grauen Tage und wunderte sich, warum sie bei der Arbeit mehr als gewöhnlich schwitzte. - „Es ist die Überanstrengung." - „Fieber. Es wird ein Fieberanfall sein", sprachen die Matrosen untereinander und zogen ihre Mützen noch fester über die Ohren. „Nur nicht krank werden und am Fieber krepieren!" Sie arbeiteten bedächtiger als sonst. Der Todessturz ihres Kameraden war ihnen eine Warnung. Niemand hatte Lust, in Segeltücher eingenäht zu werden und das Leicheneisen an die Füße gehängt zu bekommen. Auch Cornelis verwendete seine Energie einzig darauf, seinen Posten als Vormann irgendwie auszufüllen.

Alles fürs Schiff.

Lorena schrubbte mit zwei anderen Leichtmatrosen das Deck und nahm die letzte Planke in Angriff, als plötzlich die Bürsten und Scheuersteine nach Lee rutschten; sie selbst konnte sich eben noch an einem hochstehenden Lukendeckel festhalten.

Verwirrt blickte sie auf das Durcheinander. Nanu?

Das Deck kippte ...

Sie ließ nicht los. Wartete.

Die Masten knarrten, ein zweiter Windstoß presste das Schiff noch mehr auf die Seite. Es rumpelte, schepperte und krachte, Flüche wurden laut und ein „Autsch!" und „Weh" dort, wo sich anscheinend etliche Gerätschaften selbständig gemacht hatten und Köpfe oder Füße getroffen hatten.

Lorena stockte der Atem ... was geschah jetzt? Neigte sich das Schiff weiter, schoss das Wasser gleich durch die offenen Luken, lief der Kielraum voll? Sie würden alle ertrinken!

Doch da richtete sich das Schiff wieder auf, schlingerte ...

Der Wind schob und drückte gegen die Breitseite, die Bohlen ächzten. Die Zeelandia bockte wie ein widerspenstiger Gaul.

Lorena rappelte sich auf und schwankte zur Reling, hielt sich daran fest. Dann sah sie einige Seeleute am Großmast stehen, desgleichen ihre Freunde. Dort, in der Schiffsmitte, schien man weniger Schwierigkeiten zu haben, sich auf den Füßen zu halten. Zum Glück ließen die Böen wie auch das Schlingern nach, so wagte sie es und lief hinüber.

Sjard rieb sich den Ellbogen. „Mensch, ich bin voll gegen einen Belegnagel gerasselt!"

Sie verzog das Gesicht. Den Schmerz konnte sie sich allzugut vorstellen. Ansonsten blickte sie nur in verwirrte Mienen. In den Augen eines jeden Einzelnen schien die gleiche Frage zu stehen: „Zum Donner, was ist hier los??" Langsam wanderten die Blicke hoch zum Mast und zu dem einzigen Segel, das ausgerefft war.

Wild flatterten die Bänder im Wind.

Flatterten ...

... dann warf der Erste seine Mütze in die Luft und schrie „Hurra!"

Nun dämmerte es auch den anderen. Weitere Mützen flogen in die Höhe, ein unbeschreibliches Freudengeheul brach los. „Juchhe!!" Spontan hakten sich einige Männer unter und tanzten Arm in Arm. „Der Wind hat sich gedreht, der Wind hat sich gedreht!", so sangen und jubelten sie.

Auch Lorena traute sich, mitzutanzen. Ihr erster Tanz überhaupt in ihrem Leben! Dieses merkwürdige Gehopse war ungewohnt, tat aber gut. Sehr gut sogar!

„Alle Segel los! An die Brassen! Fier auf die Segel auf Raumwindkurs!", brüllte Thorsson in das Gejauchze hinein.

Die Männer brauchten einen Moment, um sich zu fassen, spätestens, als Cornelis röhrte: „Aye!", beeilten sie sich, den Befehlen nachzukommen. Im Nu summte es in der Takelung wie in einem Bienenstock, die Toppgasten schwangen sich mit affenartiger Geschwindigkeit zu den Rahen hinauf. Ein Segeltuch nach dem anderen rauschte krachend herunter und bauschten sich im Wind, der sein Lied zu singen begann - und zwar das richtige. Das Schlingern hörte auf. Mit voller Kraft flog die Zeelandia voraus wie ein Vogel aus dem Käfig. Sie war frei!

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now