Strandjer

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Ihre neuen Freunde störte es nicht im Geringsten, dass Lorena keine Einheimische war. Sie behandelten sie wie ihresgleichen, zeigten ihr geduldig den Umgang mit Messern und Stöcken, rauften und kämpften mit ihr. Es war ein Spiel, ähnlich dem, wie Hundewelpen oder Katzenjungen miteinander balgten; die Krallen wurden dabei nicht ausgefahren.

Zwar gab es allerlei Schrammen, blutige Kratzer und blaue Flecken, aber Lorena war das herzlich gleichgültig. Sie empfand Freude am Kampf und genoss das Gefühl, wie ihre Stärke und Gewandtheit zunahmen. Im Schwimmen wurde sie immer ausdauernder, und zur Kräftigung der Beinmuskeln lief sie durch die Dünenwelt. Zum Schluss saßen sie vergnügt am Strand beisammen und verschmausten den mitgebrachten Proviant. Über einem kleinen Feuer grillten die von Ove gefangenen Fische, einige Möwen gesellten sich als Gäste hinzu und bekamen selbstverständlich auch ihren Teil ab. Man verscherzte es sich nicht mit den Boten der See.

Jedoch nach einigen unbeschwerten Tagen verdüsterten sich aus irgendeinem Grunde die Gesichter ihrer Freunde. Sogar der immer zu Witzeleien aufgelegte Ove glich zuletzt einem Brummbär, der sich kurz vor dem Verhungern befand. Lorena befürchtete, an dieser Veränderung nicht unschuldig zu sein und fragte Janko unter vier Augen, ob die schlechte Laune mit ihr zusammenhängen könnte. „Hab' ich etwas falsch gemacht?"

Er verneinte entschieden. „Es ist das Wetter! Wir machen uns allmählich Sorgen, das ist alles."

„Wieso - was habt ihr an dem herrlichen Sonnenschein auszusetzen?"

„Eine Menge! Die Zeit wird knapp."

„Für was?"

„Für Vorräte."

„Ich verstehe nicht ... was genau meinst du damit?"

Janko reagierte nur mit einem Schulterhochziehen und schwieg wie gewöhnlich, wenn ihm die Angelegenheit zu kompliziert wurde.

Sie biss sich auf die Lippen. Zwecklos, weiter zu fragen. Sie musste abwarten, was sich tat.

Es geschah am übernächsten Tag. Um die Mittagszeit schwärzte sich der Himmel, der Wind frischte auf und pfiff ihnen schon nach kurzer Zeit gehörig um die Ohren. Rasch suchten sie Schutz in den Dünen. Sjard verlor seine finstere Miene und schrie begeistert: „Hei, den Sturm müssen wir nutzen!"

„Warte, bis er abgeflaut ist! Sonst lohnt es sich ja nicht", bestimmte Janko.

„Das weiß ich auch", gab Sjard gekränkt zurück.

Verwundert blickte Lorena von einem zum anderen. Während sie fröstelte und kurz davor war, sich eine windgeschützte Kuhle im Sand zu graben, schien den Freunden das ungemütliche Wetter nichts auszumachen. Sie waren auf die Dünenspitze geklettert und starrten von dort aus unverwandt auf die stürmische See, verfolgten jede einzelne Welle wie hungrige Hunde einen Knochen. Ab und an zeigten sie mit den Fingern und riefen aufgeregt: „Da! Und dort!" Wohl eine Stunde saßen sie wie angemeißelt auf der Stelle, dann erhob sich Janko. Das war das Zeichen zum Aufbruch.

Roluf zögerte kurz. „Soll Lyka mit?"

Janko nickte. „Unbedingt. Sie ist lange genug bei uns, sie soll jetzt alles erfahren. Schnell, wir müssen vor den anderen da sein!"

„Was habt ihr vor?", fragte Lorena bang.

„Wir fangen da an, wo Hauke erst zum Schluss hinkommt", brummte Janko düster. „Wir fahren hinaus!"


Die Wellen klatschten gewaltig gegen das Boot, als wollten sie es zu Brei zerschmettern. Doch Janko trieb die Kameraden unermüdlich an. „Das Segel allein reicht nicht, rudert, Leute, verdammt noch mal, ruuudert!!"

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now