Drill und Seepest

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Der Passat trieb die Zeelandia weiterhin unermüdlich voran; mit geblähten Segeln, Vogelschwingen gleich, pflügte das Schiff durch die See.

Ebenso unermüdlich ließ Thorsson verschiedene Übungen abhalten; innerhalb kürzester Zeit mussten die Befehle ausgeführt sein, denn bei einem Gefecht oder Unwetter konnten selbst kleine Zeitverluste viele Leben kosten. So trainierten die Matrosen Wenden und Halsen, jagten die Wanten hoch und herunter, refften Segel aus- und wieder ein, wischten, stopften und rannten die Kanonen aus- und wieder ein, sie schwitzten, fluchten und rackerten ... auf allen Decks wie auch im Rigg herrschte Hochbetrieb. Vom Moses bis zum Bootsmann war jedermann auf seinem Posten im Einsatz, und für den Fall, wenn jemand die ungewohnt straffe Disziplin noch nicht ganz verinnerlicht hatte, half Cornelis mit der Katze nach.

Lorena bekam eine Ahnung davon, wie es auf einem echten Kriegsschiff zugehen musste, und war heimlich stolz auf sich, wie sie diesem Drill standhielt, ohne zusammenzubrechen. Die über Jahre hindurch erworbene Zähigkeit im Schlicklaufen kam ihr hier zugute sowie die besondere Kameradschaft, die sich innerhalb der Mannschaft allmählich zu entwickeln begann. Die Begeisterung, die Bakkers Rede entfacht hatte, war aufs Neue erwacht; alle legten sich mächtig ins Zeug und zogen an einem Strang, getreu dem Schwur: Wir sind die Löwen der See! Der Profos musste sich überflüssig vorkommen.

Um Fenja machte sie sich keine Sorgen mehr. Bei der nächstbesten Gelegenheit hatte sie sich davongestohlen, um sich zu vergewissern, wie das Huhn den ohrenbetäubenden Kanonendonner und das übrige Getöse wohl überstanden haben mochte. Zuerst schien ihre Befürchtung, es völlig verschreckt vorzufinden, wahr zu werden - Fenja kauerte so still in einer Käfigecke, als hätte man sie ausgestopft. Behutsam hatte sie das Tier herausgeholt, auf den Schoß gesetzt, es sanft gestreichelt und im ruhigen Tonfall geflüstert: „Gaanz ruhig ... es ist alles in Ordnung ... hab' keine Angst."

Fenja blieb zunächst ungewöhnlich still, bis sich ihre Erstarrung langsam gelöst hatte und sie anfing, in schneller Folge abgehackte Laute auszustoßen - es klang wie „Was habt ihr euch eigentlich dabei gedacht? Einen solchen Heidenlärm zu veranstalten?", doch durch fortgesetztes Streicheln und Zureden „Es geht nicht anders, wir müssen üben, das ist ganz, ganz wichtig", beruhigte sie sich allmählich und schien zu verstehen. Ihr Gegacker verlor das Schrille und ging in ein behagliches Glucksen über. Zuletzt flog sie ein paar Runden, bevor sie sich niedersetzte und das Futter aus Lorenas Hand pickte. Von dem Stampfen und Rumpeln über ihnen ließ sie sich nicht mehr stören. Lorena war ein Stein vom Herzen gefallen und eine weitere Sorge los: wähnten sich Hühner nämlich in Lebensgefahr, stießen sie gellende Schreie aus. Dieser durchdringende Ton wäre bestimmt nicht ungehört geblieben, und dann ... dann ... nein, das wollte sie sich lieber nicht ausmalen!

Nunmehr konnte sie sich ganz auf das Geschütz-, Segel- und Kampftraining konzentrieren. Heute Vormittag hatte sie sich wie befohlen am Treffpunkt vor dem Großmast eingefunden und wartete; noch war sie allein. Gleich war die Bären-Back an der Reihe, hierbei hatte es Gerrit übernommen, die einzelnen Backschaften anzuleiten. Sie freute sich schon darauf, auch wenn es ihr noch mehr blaue Flecken bescheren würde. Gerrit gab sich stets besondere Mühe mit ihr, was allerdings zur Folge hatte, dass sie allerlei einstecken musste; im Gegenzug aber lernte sie jedes Mal dazu. Hauke hatte sich wenig darum geschert, wieviel sie verkraften konnte; das hatte sie gelehrt, stur auszuhalten und weiterzumachen, das half ihr jetzt. Doch gestern hätte Gerrit sie beinahe durchschaut. Wegen einer Lappalie ...

Sie hatte ungünstig im Wind gestanden, ständig waren ihr die Haare vor der Nase herumgetanzt und drohten gar ihr „Bärtchen" zu verwischen. Gerrit hätte über ihre schnelle Rasur nicht schlecht gestaunt! Schnell hatte sie die Situation und ihr „Bärtchen" zu retten versucht, indem sie die flatternden Strähnen immer wieder zur Seite pustete, bis Gerrit schließlich geraunzt hatte „Was schnaubst du wie ein Pferd? Mach's so wie ich, bind' dir ein Stirnband um, das ist praktischer!" Rasch war sie seinem Rat gefolgt und hatte sich das Halstuch um den Kopf gewickelt. Ihr Geheimnis blieb so gewahrt.

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now