Der Schwur

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Am nächsten Mittag versah Lorena wie gewöhnlich den Backsdienst. Sie half Rix in der Kombüse und füllte Graupensuppe in die Schüsseln.

Unversehens wurde die Tür aufgerissen. Der Backsmeister steckte den Kopf herein und brüllte: „Habt ihr Seetang in den Ohren? Habt ihr nichts mitgekriegt? Alle Mann an Deck!"

Vor Schreck hätte Lorena einiges verschüttet; Rix hatte weniger Glück. Er war heftig zusammengezuckt, während er einen Stapel Teller balancierte. Der oberste geriet ins Rutschen, sauste hinunter und zerschellte auf dem Boden in Einzelteile. „Godverdomme!", fluchte er. Vorsichtig stellte er den Stapel zurück ins Regal und wandte sich zu Joris um, hochrot im Gesicht. „Das hab' ich schon, aber nicht den genauen Wortlaut. Hab' die Kombüse aufgeklart, verstehste?"

Joris kniff ein Auge zu. „Willst du mich verarsch..."

„Ich hab auch nichts mitbekommen!", erwiderte Lorena schnell. Das war nicht gelogen. Rix hatte dermaßen gründlich aufgeräumt, dass ihr die Ohren von dem Geklapper und Geklirr geklungen hatten. „Was ist denn so dringend?", fragte sie weiter. „Der Passat segelt das Schiff doch von allein, da gibt nicht viel zu tun?"

Joris zuckte die Achseln und erwiderte nun freundlicher: „Keine Ahnung, was los ist. Das werden wir gleich wissen. Also hopp mit euch!" Er stapfte hinaus.

Rix schaufelte mit beiden Händen Asche ins Herdfeuer, das zischend verrauchte, Lorena fegte rasch die Scherben in die Ecke, dann folgten sie dem Backsmeister.

Als Erstes fiel ihr eine Hünengestalt ins Auge. Inmitten der Matrosen ragte sie auf wie ein Leuchtturm - Thorsson! Er hatte sogar das Achterdeck verlassen. Die Mannschaft war noch nicht vollzählig versammelt, der Ausguck und die Toppgasten enterten nieder. Ihre Freunde hatten sich bereits eingefunden; sie lief zu ihnen und stellte sich neben Janko. „Weißt du etwas?", fragte sie ihn.

„Nein, nichts", versetzte er. „Nur, dass wir uns vor dem Großmast aufstellen sollen."

„Hm." Sie suchte mit den Blicken den Himmel ab. „Es sieht nicht nach einem Sturm aus, weit und breit ist kein Schiff in Sicht. Vielleicht ist der Schipper krank?"

„Möglich, ja - das könnte der Grund sein. Daran hab' ich noch gar nicht gedacht."

„Darauf könnte ich fast wetten", bemerkte sie mit leiser Ironie und beließ es dabei. Ihre Meinung über Bakker behielt sie lieber für sich. Sollte doch Thorsson das Kommando übernehmen! Zu ihm hatte sie Vertrauen.

Der Navigator schien die Ruhe selbst zu sein. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt und wartete, bis auch der Letzte eingetroffen war. Dann aber bekam sein Blick etwas Raubvogelartiges. Er sah die Männer einer nach dem anderen so durchdringend an, als ständen sie allesamt auf der Schwarzen Liste.

Auch Lorena zuckte unter seinem unheimlichen Blick zusammen. Sie fühlte sich mindestens so schuldig, als hätte sie das Trinkwasser vergiftet ... das kostbare Trinkwasser, das mittlerweile brackig schmeckte und zu stinken begann. Niemand wagte es, den Mund aufzumachen. Nur im Rauschen der See schienen geisterhafte Stimmen zu flüstern.

Endlich gab sich Thorsson einen Ruck und rief: „Hört zu, Männer! Ihr alle kennt den Zweck unserer Reise: Wir wollen eine gute Fahrt machen und mit einer ordentlichen Ladung Tabak, Baumwolle und Perlen heimkehren. Doch genau das wird zu einem Wagnis: Zum einen häufen sich die Überfälle durch Piraten in der Hoffnung auf eine gute Prise, zum andern scheuen auch England und Frankreich keine Gewalt mehr und schicken Kaperfahrer gegen fremde Handelsschiffe. Erinnert ihr euch an den Eid, den ihr vor der Abfahrt geschworen habt? Nämlich ‚unbedingte Treue und das Versprechen, das Schiff nicht zu verlassen, solange Kiel, Mast und Wand noch steh'n'?"

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now