Von Kanonen und Schwarzpulver I

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Trödelt nicht, hatte Bakker gesagt.

Von Thorsson angeführt, drängten die Männer zur Hauptluke; jeder wollte der Erste sein.

Alle Mann an die Kanonen!

Niemand blieb zurück, außer dem Rudergänger und einem Bootsmann, die zusammen mit dem treuen Nordostpassat das Schiff weiter auf Kurs hielten. Die günstigen Wetterbedingungen galten als gutes Vorzeichen, dass der Klabautermann auch weiterhin gütig über die Mannschaft wachte.

Eingekeilt zwischen den Matrosen, nahm Lorena zuerst einen metallischen, schwefelhaltigen Geruch wahr, als sie das Batteriedeck betrat. Vermutlich lag es an dem verbrannten Schwarzpulver, das sich überall eingenistet haben musste. Offenbar hatte die Zeelandia schon einige Gefechte hinter sich. Sie zählte vierundzwanzig Geschütze; sie waren auf Rädergestellen montiert und an Eisenringen, die am Untersatz sowie an der Schiffswand angebracht waren, fest vertäut. Dazu lagen neben jeder Kanone verschiedenartige Gerätschaften bereit.

Es gelang erst dem Quartiermeister, Ordnung in dem Gewühl zu schaffen. Er teilte die Männer in Gruppen ein; je eine Backschaft mit einem Kanonier an der Spitze. „Du und du nach hinten, und ihr nach dort", bestimmte er und schickte jeden an seinen Platz. Dann stutzte er plötzlich, sah sich um – und blaffte: „Einer fehlt doch noch ... wo zum Donner steckt der letzte Moses?"

Der letzte Moses. Damit war sie gemeint.

Sie hob den Arm hoch. „Hier!", rief sie und schob sich zwischen den Wartenden nach vorn.

„Na endlich! Marsch zu den anderen", schnaubte er und wies mit dem Daumen zur Seite.

Schleunigst lief sie zu den Schiffsjungen hinüber. Hier war die Deckenhöhe niedriger, so fiel der Größenunterschied natürlich besonders auf. Sie zog den Kopf ein und machte sich kleiner. Warum musste ausgerechnet sie so schnell in die Höhe schießen?

„Dat wird nüscht mit Timo als Pulveräffchen. Der is' zu lang dafür", beschied denn auch der Quartiermeister. „In dieser Enge zwischen Pulverlager und Batteriedeck hin- und herflitzen ohne mit den Jungs zusammenzurumsen oder über Kram zu stolpern – wie soll das gehen? Höchstens im Notfall – aber ... nein, nein! Stell' dich mal zu deinen Friesenfreunden, der Bären-Back", und zeigte die Richtung, „da passt du besser hin."

Sie machte sich sofort auf den Weg. Nichts lieber als das!

Wer würde der Kanonier sein? Zu ihrer Überraschung war es der Messerstecher, wie sie ihn in Gedanken immer noch nannte. Er stand an der Kanone gelehnt, ihre Freunde bildeten einen Halbkreis um ihn. Aber auch er zuckte leicht zusammen, als er sie erblickte. Erinnerte er sich an sie? Nein, das kann nicht sein, es waren die anderen Schiffsjungen gewesen, die ihn mit Zwieback und Wasser versorgt haben, sagte sie sich und ging möglichst unbefangen auf ihn zu.

Sein eigentlicher Name war Gerrit Hendrix, und er wurde von Cornelis weiterhin als vollwertiger Matrose behandelt, obwohl er nicht mehr alle Seemannsarbeiten ausführen konnte. Die Katze hatte er kein einziges Mal mehr schmecken müssen. Zu glauben, dass sich ausgerechnet Cornelis vor einer neuen Messerattacke fürchtete, war lächerlich. Aber was war es dann? Gerrits kantiges Gesicht mit den vorstehenden Wangenknochen und dem Schnauzer allein wirkte wohl kaum respekteinflößend genug. Heute allerdings hatte er das lockige braune Haar mittels eines breiten Stirnbandes straff zurückgebunden, was ihm ein verwegenes Aussehen gab. Ein unangenehmes Ziepen in der Magengrube schien ihr eine Warnung zu sein, dass sie bei ihm wachsam bleiben sollte.

Der Messerstecher rümpfte die schmale lange Nase. „Je nun, lasst uns anfangen ..."

„Moment mal, du kennst dich mit den Geschützen aus?", unterbrach Sjard ihn sogleich. „Ich hab dich oben an Deck nicht gesehen; du warst bei den Kanonieren nicht dabei."

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt