Türkisblau

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Jeder kämpfte für sich allein, vom Moses bis zum Schipper, mit Kopfweh, Magenschmerzen und Durchfall. Halb benommen, Geistern gleich, verrichteten sie den Schiffsdienst. Die Seemannsehre verbat es, der Schwäche nachzugeben. Noch hielten sie sich aufrecht. Sie taumelten, aber fielen nicht. Die Löwen der See wirkten zerzaust, aus hohlen Augen starrten sie müde auf die Segel und auf das Meer, aber hielten Kurs. Die Armmuskeln zitterten beim Heißen und Hahlen, doch die Taue rutschten nicht aus den Händen.

Denn es gab Rix, der unermüdlich gegen das Elend ankochte und dafür sorgte, dass die Männer halbwegs bei Kräften blieben, den Shipdoctor, der unbeirrt Löffelkraut und Kräutertee verabreichte -
... und den Himmel, der sich eines Tages bewölkte und einen kurzen, aber kraftvollen Regenschauer niedergehen ließ, so ergiebig, dass er wenigstens einige Wassertonnen füllte. Zwar blieb keine Zeit mehr, sie vorher auszuscheuern, sondern nur, schleunigst die Algenbrühe wegzukippen und das kostbare Nass aufzufangen. Dieses Geschenk des Himmels hauchte ihnen allen neues Leben ein.

Nach dem Regen verwandelte sich allmählich das Meer. Es schien sich regelrecht zu häuten, die Farbe wechselte von Dunkelgrün zu Türkisblau. Der gewaltige Atem des Nordpassats flaute ab, besaß jedoch noch immer genügend Kraft, um die Segel zu füllen. Der Wind sang ein neues Lied; er heulte und brauste nicht mehr in der Takelage, sondern summte. Das stetige Knarren der Masten und Knallen der Segel hörten schlagartig auf.

 Das stetige Knarren der Masten und Knallen der Segel hörten schlagartig auf

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Lorena lehnte vornübergebeugt über der Reling und beobachtete das Meer. Auch der ewige Tanz der Wellen war ein anderer. Die ehemals großen, weitrollenden Wogen waren nur noch sanft wellig. Sie gluckerten und gurgelten an die Schiffswände, der Schlag der Dünung war nicht mehr so hart. Das Stampfen und Rollen des Schiffes hatte aufgehört, es glitt dahin wie über einen blauen Teppich. Alle Luken standen offen, um sämtliche Kammern und Decks gründlich durchzulüften. Bei den niedrigen Wellen bestand keine Gefahr, dass sie ins Schiff schwappten.

Sie blähte die Nasenflügel, schnupperte. Diese Luft! Einfach köstlich! Sie trug den Duft unbekannter Gerüche in sich, ein Hauch von fremdartigen Blüten, vermengt mit einem Aroma von Gewürzen. Die salzige Brise wehte eine süße, fruchtige Note aus der Ferne herüber. Ungewohnt warm und samtweich war diese Luft, umschmeichelte sie wie eine Liebkosung. Welch ein Gegensatz zu dem steifen Nordseewind, der so schneidend und brutal ins Gesicht beißen konnte, dass die Haut brannte! Desgleichen schien das Licht eine neue Helligkeit anzunehmen - alles wirkte so klar und strahlend, als wäre ein Schleier weggezogen worden - das Trübe, Graue war fort, genauso, wie ihre Schwäche verschwunden war, wie weggeblasen. Vor wenigen Tagen noch war es eine Qual gewesen; sie hatte sich dahingeschleppt, stets umgeben von leeren, schweißüberströmten Gesichtern, als ob sie alle dem Ende entgegensähen und die Zeelandia unaufhaltsam auf den Untergang zusteuerte ...

Aber der Regen hatte das Unreine weggewaschen, und in dem Maße, wie sie das saubere Wasser tranken, spülte es die Krankheit nach und nach aus den Körpern. Das milde Klima tat sein Übriges, um die Erholung zu vollenden. Die Abende und Nächte mit ihrem funkelnden Sternenhimmel schenkten wohltuende Wärme und Trost. Vergessen war die Kälte, die ständige Feuchtigkeit, die klammen Schlafdecken.

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now