Atempause

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Frei und ungehindert schoss die Zeelandia durch die Wellen, unablässig angetrieben von einem beständigen Wind. Der Rudergänger brauchte nichts anderes zu tun, als gelegentlich nachzusteuern und darauf zu achten, dass alle Segel gebläht blieben.

Dagegen gab es für die Kalfaterer reichlich Arbeit: der lange wolkenbruchartige Regen hatte den Decksplanken ziemlich zugesetzt. Bewaffnet mit Teereimern, Kalfateisen und Hammer, suchten sie die Bodenplanken nach undichten Stellen ab und und verstopften sie mit Werg. Klopf - poch, poch!

Für die übrige Besatzung bedeutete es die langersehnte Atempause. Es war vorbei mit diesen unaufhörlichen Segelmanövern, dem Auf- und abentern, mit Hahlen und Fieren! Endlich diente die Freiwache nicht mehr allein dazu, eine Mütze Schlaf zu bekommen, sondern man konnte frische Kraft schöpfen und sich anderen wichtigen Dingen zuwenden. Pütz um Pütz ging über die Reling, bis zum Rand mit Seewasser gefüllt; in einer Gemeinschaftsaktion wurde die Kleidung eifrig gewaschen und geschrubbt. Bald hing die Takelage voller Hemden und Hosen, die in der Sonne trockneten. Wie lauter kleine Segel flatterten sie im Wind.

„Wenn ihr nicht von den Läusen zerfressen werden wollt, Leute, bleibt reinlich", mahnte der Profos zwischendurch, damit auch ja niemand die eigene Körperpflege ausließ. Auch das wurde einvernehmlich erledigt und sie spritzten sich gegenseitig nass.

Spätestens da flüchtete Lorena mit der Pütz unter Deck und suchte sich eine ruhige Ecke. Die anderen hätten sonst große Augen gemacht, wenn sie ihre Brustwickel gesehen hätten! Nachdem sie sich gewaschen und umgezogen hatte - dabei vergaß sie auch nicht, einen kleinen Schmutzstreifen für den „Bart" übrigzulassen - stieg sie wieder nach oben. Ein bisschen hin und herlaufen, dann würden die feuchten Sachen am Leibe rasch getrocknet sein. Im Moment benötigte niemand ihre Hilfe, selbst der Backsdienst ruhte, die Kombüse war verwaist. Rix, der bisher ohne Pause damit beschäftigt gewesen war, die hungrige Besatzung satt zu bekommen sowie beim Segelsetzen auszuhelfen, hatte sich aufs Ohr gelegt. Und das war gut so, ein übermüdeter Koch konnte mit Leichtigkeit das ganze Schiff in Brand setzen. Am Abend würde es die Reste vom Erbseneintopf geben, das Aufwärmen konnte der Küchenjunge selbständig besorgen.

So schlenderte Lorena gemütlich übers Deck und beobachtete, was sich tat. Die Männer waren keineswegs müßig. Sie hockten auf Seekisten und flickten ihre Kleidung oder nähten sich aus einem Stück Segeltuch eine neue Hose. Sie staunte, wie geschickt sie mit Nadel und Faden umgehen konnten, und bekam Lust, es ihnen nachzutun. Bei dem warmen Klima brauchte sie über kurz oder lang leichtes Zeug. Im Unterdeck befand sich das Segellager, wo Ersatzsegel von unterschiedlicher Dicke aufbewahrt wurden. Bestimmt würde sie etwas Geeignetes finden, und wenn es irgendwelche Tuchreste waren, die ein Sturm in Fetzen gerissen hatte.

Ein Stück abseits von den anderen saß ein Matrose, der ein Segeltuch über sich ausgebreitet hatte. An der Seite war es eingerissen, es hatte wohl dem Winddruck nicht mehr standgehalten. Ihre Neugier war geweckt - das musste der Segelmacher sein! Sie blieb bei ihm stehen und sah zu, wie er es reparierte. Mit weitem Schwung holte er aus und stieß die Nähnadel durch das steife Tuch, wobei er nicht die Finger benutzte, sondern die Hand, die mit einem dicken Lederriemen umwickelt war.

Wie praktisch, dachte sie. Das Lederstück schützt vor Verletzungen und sorgt für den nötigen Druck auf die Nadel.

Noch zwei, drei Stiche, und der Segelmacher hielt inne, griff zum Kuhhorn neben sich. Es war bis zum Rand gefüllt mit einer festen, gelblichen Masse, in der weitere Nadeln steckten. Er schien ihr Interesse zu spüren, sah auf. „Ja?"

Es klang keineswegs, als fühlte er sich gestört, also deutete sie auf das Horn. „Was ist da drin?"

„Talg. Das Fett verhindert, dass die Nadeln rosten. Auch gleiten sie besser durch."

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now