Von Bilge und Back

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Der Weg in die Bilge führte über den Niedergang. Für Lorena war das Benutzen dieser leiterähnlichen Treppe noch sehr gewöhnungsbedürftig, bei starkem Seegang musste sie verflucht aufpassen, dabei nicht die Stufe zu verfehlen. Tauchte das Schiff plötzlich in ein Wellental, schwebte man unversehens mit einem Bein in der Luft und musste schleunigst zusehen, wieder Tritt zu fassen, sonst „segelte" man hinunter und brach sich die Knochen – wenn alles gutging.

Deshalb gab sie lieber Obacht, während sie abwärts durch die Decks stieg. Von unten herauf wehte ihr ein feuchter, süßlicher Geruch entgegen. Ein letzter Schritt ... dann stand sie im Kielraum, nur die Bodenplanken zwischen sich und dem Meer. Unter ihren Füßen gluckerte, schmatzte und raunte es. Hart schlugen die Wellen gegen die Schiffswände, als begehrten sie Einlass und wollten vorher nur aus reiner Höflichkeit anklopfen. An den Wänden entlang waren Kisten und Tonnen aufeinandergestapelt und fest verzurrt. Der tiefste Punkt des Schiffbauchs war mit Steinen befüllt, dazwischen und darüber schwappte schleimiges, grünliches Wasser. Wenigstens war es nicht soviel, wie befürchtet – noch nicht. Sie blickte sich suchend um. Was für eine bedrückende Umgebung! Wo um Himmels willen befand sich Fenja?

Von irgendwoher erklang ein zartes tuck-tuck-tuck!

Sie legte den Kopf schräg und spitzte die Ohren ... war es eine Einbildung gewesen? Oder war es vom Meer gekommen? Doch da war es wieder: tuck-tuck – es klang wie „komm', komm'"!

Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Das war ein Lockruf! Von Fenja! Sie war wach!

Getrieben von Angst und Freude zugleich, sprang Lorena leichtfüßig über Steine und die stinkende Brühe hinweg bis zu der Stelle, von wo der Laut gekommen war. Im dämmrigen Licht entdeckte sie hinter einem höheren Steinhaufen eine Art ... Kiste?, über die eine grobe Leinendecke geworfen war. An den speziellen Löchern erkannte sie sogleich den bewussten Seesack. Er war auseinandergeschnitten worden und diente nun als Überwurf. Das Ganze sah so unauffällig aus wie dazugestellt. Der Platz war schlau gewählt!

Mit einem Ruck riss sie die Decke herunter. Zum Vorschein kam ein großer Hühnerkäfig, und tatsächlich - darin hockte Fenja! Roluf musste den Käfig vom Oberdeck stibitzt haben oder hatte einfach ein Huhn herausgenommen und es zu den anderen gesetzt, die sich jetzt mit weniger Platz begnügen mussten. Er hatte sogar daran gedacht, Fenjas neues Heim mit Stroh und einem Wassernapf auszustatten. „Ei, das nenne ich aber fürsorglich", rief sie spontan aus. „Und jetzt nichts wie 'raus mit dir, du Arme!"

„Eck-eck", äußerte sich Fenja, was wohl heißen sollte: Beeil' dich!

Lorena kniete sich hin, bemühte sich, mit vor Aufregung zitternden Fingern die Haken aufzubekommen, die ineinander gebogen waren. Hühner waren nämlich geschickt darin, mit ihren Schnäbeln einen Verschluss zu öffnen. Indes trippelte Fenja hin und her, was Lorena noch nervöser machte. Dieser verflixte Riegel! Ein Fingernagel brach ab, dann endlich hatte sie die Konstruktion geknackt und öffnete das Türchen weit.

Sogleich hüpfte Fenja hinaus, schüttelte sich kurz, spreizte die Flügel und flog nach oben bis zur Decke, segelte in einem eleganten Schwung zum Boden hinunter, setzte sich, hopste Lorena direkt in die ausgebreiteten Arme und drückte glucksend das Köpfchen an ihren Hals. Selig umschloss Lorena das treue Tier, streichelte über die weichen braun-weißen Federn. Vor Rührung liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Nach einer Weile gab sie Fenja wieder frei, die sofort die Gelegenheit nutzte, kreuz und quer durch den Raum zu fliegen. Entzückt beobachtete Lorena ihr Treiben. Fenja geht es gut, sie hat den Transport und auch den Schlafmohn gut vertragen.

Dann begab sich Lorena pflichtbewusst an die Pumpe. Sjard hatte ihr genau erklärt, was sie zu tun hatte. Zur Strafe musste sie die Arbeit alleine verrichten, was gleichzeitig bedeutete, dass es mindestens zwei Stunden dauerte, bis sie fertig wurde. Aber das machte ihr nichts aus; dies lieferte ihr den willkommenen Vorwand, sich so lange wie möglich in der Bilge aufzuhalten.

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt