Leinen los!

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Der Backsmeister ließ Lorena keine Zeit, sich zu fassen oder sonst wie zu reagieren, sondern packte sie mit seinen klobigen Händen an den Schultern, drehte sie herum, gab ihr einen Stoß in den Rücken sowie einen deftigen Fußtritt hinterdrein und schnauzte: „Hopp, hopp, Jung'!"

Auf solche Weise wurde sie, abwechselnd vorwärts gestoßen und getreten, zur Hauptluke über die Leiter in das Zwischendeck befördert. Nach einem letzten Fußtritt stolperte sie in einen Raum, in dem es nach kalt gewordener Asche roch.

Über einen Tisch gebeugt stand ein kahlköpfiger Mann und sortierte Zwiebeln. Er blickte hoch, knurrte: „Ja, wen ha'm wir denn da?", woraufhin der Backsmeister sich beschwerte: „Dieser Moses is' noch völlig grün hinter den Ohren. Hab' fast alles Neulinge in meiner Backschaft!!"

Der Mann am Tisch stülpte die breite Unterlippe vor und taxierte Lorena von Kopf bis Fuß. „Ich bin der Koch - sozusagen der zweitwichtigste Mann nach dem Schipper. Und wer bist du?"

Sie versuchte, nicht länger wie ein Häufchen Elend dazustehen, sondern straffte sich und nannte ihren Namen. Da sie ohnehin von Natur aus eine eher dunkle Stimme besaß, brauchte sie sich beim Sprechen nicht großartig zu verstellen.

Dies schien den Koch einigermaßen zu beeindrucken. Er schenkte ihr ein joviales Lächeln. „Bist du aber ein Langer, Timo! Hast du überhaupt Muskeln?"

Wortlos schob sie die Hemdsärmel hoch und zeigte ihre Oberarme.

Seine borstigen hellblonden Augenbrauen gingen in die Höhe. „Hei! Dürr bist du jedenfalls nicht ... na, zum Eimerschleppen wird's reichen."

„Das wird sich noch zeigen", schnaubte der Backsmeister und schickte, während er hinausging, noch eine letzte Anweisung hinterher: „Zur Strafe pumpst du mir die Bilge aus, heute noch!"

BILGE.

Sie fühlte, wie ihre Wangen glühten - vor Freude. Der Backsmeister hätte ihr keinen größeren Gefallen tun können!

„He, sei nicht traurig, dass du zum Auspumpen der Bilge verdonnert worden bist", sprach der Koch tröstend, ihr Erröten missdeutend. „Das ist eine ziemlich stinkige, aber auch sehr wichtige Arbeit! Das haben wir alle einmal tun müssen. Mit einem Tuch vor der Nase ist es eigentlich auszuhalten. Hinterher bekommst du dafür eine doppelte Ration, versprochen!"

Er kam - vielmehr schob sich - um den Tisch herum, wobei er leicht schwankte. Nun wurde ein Schwabbelbauch sichtbar, der so gar nicht zu seinem ansonsten straffen Körper zu passen schien. Er trug ein reinliches Hemd über einer ebenso fleckenlosen, weitgeschnittenen Hose, die über den Knöcheln endete. Sie fand ihn auf Anhieb sympathisch. Wenn er auf das Kochen genauso achtgibt wie auf seine Kleidung, werden wir alle bei Kräften bleiben, dachte sie. Aber dieses Schwanken - ist er betrunken?

Er wies auf einen Stapel großer und kleiner Säcke und auf die fast leeren Regale. „Räum' die Sachen ein! In meiner Kombüse herrscht Ordnung."

Mit immer noch brennendem Hintern von den Tritten machte sie sich eifrig an die Arbeit; leerte die Säcke aus, sortierte den Inhalt und räumte alles auf die Borde. Dabei fiel ihr auf, dass an der Wand weitere Bretter festgeschraubt waren, aber von doppelter Dicke - und zwar für passend gefertigte Mulden, in welche Töpfe und Teller festgesteckt waren. Wie praktisch! Aber das war noch nicht alles; verschieden große Pfannen baumelten an Haken von der Decke, dazu standen in der Mitte des kleinen Raumes zwei metallene Kisten, die wiederum in Sandkästen gestellt waren.

An die grobe Behandlung durch den Backsmeister verschwendete sie keinen Gedanken. Was ihn betraf, verstand sie ihn sogar. Von sieben Backsmitgliedern hatte er allein drei Neulinge zu überwachen, und wenn sie Fehler machten, fiel das auf ihn als Verantwortlichen zurück; bestimmt bekam er daraufhin einen Rüffel vom Schipper. Da konnte man schon mal mürrisch werden.

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now