Abschied

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Die roten Backsteine der Kirche St. Salvator schienen in der Sonne zu glühen; darüber spannte sich ein blassblauer Himmel. Das Meeresrauschen vereinte sich mit dem Brausen des Windes, der sich aber nach und nach legte, wie um die Andacht der Trauernden auf dem Kirchhof nicht zu stören. Die Zeit stand still ...

Das aufgeworfene Grab wirkte wie eine offene Wunde in der Erde; ein Sinnbild dessen, was Lorena in ihrem Herzen empfand. Sie stand davor, mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen, in einem schlichten, dunkelblauen Kleid; dicht hinter ihr befanden sich die Freunde, fast wie ein schützender Wall.

Obwohl sie eher mit einem stillen Begräbnis gerechnet hatte, waren etwa dreißig Strandinger gekommen, um Hauke die letzte Ehre zu erweisen; darunter die Familie Brodersen und einige Halligbewohner. Tjark schien sichtlich erschüttert, immer wieder rieb er sich die rotgeränderten Augen. Und ganz zuletzt hatte sich sogar Iwe mit seiner Tochter Eilien eingefunden!

Lorena war zutiefst gerührt. Irgendwie war es ein Trost ... er trug Hauke wohl nichts mehr nach?

Der Pfarrer predigte mit warmen Worten und ausdrucksvollen Gesten, andächtig lauschten ihm die Leute, doch sie konnte sich kaum auf ihn konzentrieren. Stattdessen stiegen Bilder in ihr hoch, während sie auf das offene Grab starrte ...

... Hauke, wie er ihr, über sie gebeugt, den heißen Tee reichte, und sie mit diesem so eigentümlich argwöhnischen Blick aus graublauen Augen bedachte ... während sie, gerade dem nassen Tod entronnen, das Brüllen und Tosen des Sturms noch in den Ohren, am ganzen Leibe zitterte ...

... Hauke, wie er ihr eindringlich die geheimnisvolle Wattenwelt erklärte, seine flinken Augen, die stets umherhuschten ... das Bild, wie sie einander die Torfstücke reichten ... schwarze, nasse Klumpen, eins ums andere ...

Nie mehr tuulgraben ... nie mehr nebeneinander auf dem Dachboden sitzen und gespannt dem Toben der Sturmflut lauschen ... nie mehr. Ganz zuletzt hatten sie seine harten Augen so mild und freundlich angesehen, hatten ihr einen unverhüllten Einblick in seine Seele gewährt, und was sie dort erkannte ... waren unbedingte Treue und Redlichkeit gewesen.

Sie wischte eine Träne aus dem Augenwinkel.

„Hauke Eissen - er war ein harter Mann gewesen, starrsinnig, aufbrausend zuweilen, aber doch voller Güte", erreichten endlich die Worte des Pfarrers ihr Ohr. Sie horchte auf. „Ein wahrer Sohn der Uthlande, aufrecht, ehrenhaft und frei ..." Er hob die Stimme. „Ein wahrer Friese, bis zuletzt war sein Trachten danach gewesen, unseren goldenen Strand vor dem Wüten des blanken Hans zu schützen. Er hat sein Leben für den Bau des neuen, des besten Deichs, den wir je geplant hatten, gegeben, und wir werden ihn in seinem Sinne vollenden!"

Ein zustimmendes Murmeln wurde laut. „Trutz, blanke Hans!", ließ sich eine Stimme vernehmen, der eine zweite, eine dritte folgte.

Trutz, blanke Hans, säuselte der Wind.

Der Pfarrer räusperte sich. „Und nun lasset uns beten! Uns Vader, de du büst in Himmel ..."

Als das Amen verklang, trat Lorena vor bis an den Rand des Grabes. „Lebe wohl, Hauke Eissen. Danke für alles!", sagte sie laut zu seinem Sarg hinunter, verharrte eine Weile. Dann wandte sie sich ab, nickte zum Dank kurz zu den Anwesenden hinüber und verließ die Grabstätte. Nein, sie konnte nicht hinsehen, wie es zugeschaufelt wurde, nein, sie konnte nicht! Später ... erst ...!

Ein Tuscheln, ein Zischen erhob sich hinter ihr. Irritiert blickte sie sich um - doch ihre Freunde schlossen bereits zu ihr auf. Beruhigt ging sie weiter. Sie brauchte unbedingt Ruhe, Zurückgezogenheit und wollte nur nach Hause ...

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Where stories live. Discover now