Kapitel 77

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Ich bin ziemlich sicher, dass ich eigentlich in Ohnmacht fallen sollte. So viel Schmerz konnte ein Körper einfach nicht ertragen, ohne eine Ohnmacht. Und selbst mit, war es schon wirklich unglaublich.

Trotzdem stand ich mit verschwommener Sicht und zittrigen Knien da, weit entfernt, diesem höllischen Schmerz durch tiefe Schwärze zu entkommen.

Ich hatte meine Verletzungen noch nicht genauer betrachtet, zum Einen weil meine Augen mir einen Scherz spielten und einfach nicht fokussieren wollten, sodass ich mich mehr vorwärts tastete, als zu sehen (naja immerhin kroch ich auch viel mehr vorwärts, als dass ich lief), zum Anderen reichte mir das Brennen, um mir zu sagen, dass ich es auch gar nicht näher sehen wollte.

Obwohl, vielleicht ließ der Anblick meiner aufgerissenen, scherbenversehrten Haut mich ja in Ohnmacht fallen?
Den Versuch wäre es meiner Meinung nach wert, allerdings erst, wenn ich hier raus war.

Stöhnend schleppte ich mich einen weiteren mickrigen Zentimeter vorwärts, immer weiter auf das helle Licht zu, von dem ich hoffte, dass es das Fenster war.

Wahrscheinlich war ich die letzten zehn Minuten nicht einmal einen Meter von dem Scherbenhaufen weggekommen, der einmal ein Tisch gewesen war, aber das war mir egal. Das einzige das zählte, war der sich verringernde Abstand zu dem Licht und die Stille, nur unterbrochen von meinem angestrengtem Atem. Die einzige Gewissheit, die ich hatte, dass mein Vater sich nicht in der nächsten Sekunde wieder auf mich stürzen wollte.

Mein ganzer Körper zitterte und ich hatte das Gefühl jegliches Adrenalin meines Körpers aufgebraucht zu haben. Trotzdem kroch ich weiter.

Ich musste hier weg. Sonst würde ich sterben, das wusste ich.

Eigentlich konnte ich es sogar kaum fassen, dass ich noch lebte.
Ich war mir sicher, mein Vater hätte es zu Ende gebracht. Doch irgendjemand hatte ihn abgehalten. Jemand weibliches.
Ich schluckte schwer den Klos in meinem Hals herunter.
Es musste Kathrin gewesen sein. Das entsetzte Kreischen... aber das wollte sich einfach nicht mit meiner Vorstellung meiner eisigen Stiefmutter vereinbaren. Und trotzdem gab es keine andere Möglichkeit.

Der Gedanke, dass ich mein Leben ihr verdankte, knockte mich vollständig aus, daher drängte ich alles schnellst möglich so tief in meinen Kopf zurück, wie nur möglich.
Dafür war Zeit, wenn ich mindestens 100 Kilometer zwischen mich und meinen Vater gebracht hatte.

Bei jeder kleinsten Bewegung, schienen sich die Splitter tiefer in meine Haut zu bohren und entrangen mir ein Keuchen oder Stöhnen. Besonders schlimm war es an meinem rechten Oberschenkel...

In einer möglichst stabilen Position lehnte ich gegen die Wand und betastete das grausige Brennen, dass durch mein Bein fuhr.
Auch ohne zu sehen fühlten meine Finger die große Scherbe, die seitlich in meinem Oberschenkel steckte und schon die leichte Berührung meiner Fingerspitzen entlockte mir ein ersticktes Schluchzen.
Ich konnte das Bein kaum belasten, ohne dass es unter mir wegknickte. Wie sollte ich es da bis zu meinem Auto schaffen?

Panisch rang ich nach Luft. Es ging einfach... nicht... ich bekam keine Luft, das war alles zu viel!
Immer kürzer wurden meine Atemzüge und nur der Wand verdankte ich es noch nicht umgefallen zu sein. Meine Lungen wollten sich einfach nicht mehr ausdehnen.
MEIN GANZER KÖRPER WOLLTE NICHT MEHR!

Stumm schrie ich auf, doch in meiner Atemnot kam kein Laut aus meinem Mund. Ich wollte hier nicht sterben!
Nicht wegen dem sterben an sich, ich wollte ihm nur nicht den Gefallen tun, mich am Ende zu sehen. Er sollte nicht mitbekommen, dass er mich besiegt hatte.
Das würde ich ihm nicht gönnen.

Kratzig strömte Luft in meinen Brustkorb und lies mich erstickt husten.

Das würde ich ihm NICHT. GÖNNEN!

behind the screenWhere stories live. Discover now