Kapitel 22

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Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte war ich sofort hell wach und... wow hätte nie gedacht, das mal wieder sagen zu können: Ich war ausgeschlafen! Keine riesigen dunklen Schatten unter den Augen, keine vor Müdigkeit schlurfende Schritte  und generell kein zombihaftes Erscheinen.

Also sind wir endlich mal wieder unter den Lebenden.

Jap, so siehts aus! Gut gelaunt schwang ich mich aus dem Bett und zog mich um. Da meine Handgelenke noch immer eine blaugrünliche Färbung hatten entschied ich mich wieder für ein langärmliges Oberteil, das locker saß, und dazu eine schwarze Skinny Jeans.
Doch vor dem Spiegel in meinem Bad graute es mir kurz. Was war, wenn mein Kiefer noch dunkler angelaufen war? Auf noch eine weitere Runde starren-bis-die-Augen-rausfallen hatte ich echt keinen Bock und auf die Kommentare meiner so liebenswürdigen Mitschüler konnte ich auch verzichten
.
Hilft doch eh nichts. Es ist so wie es ist, ändern kann man es nicht.

Sollte das jetzt ein Versuch sein mich aufzubauen? Weil dann müssen wir daran noch dringend arbeiten...

Ich seufzte. Aber recht hatte meine innere Stimme trotzdem. Mit geschlossenen Augen hob ich den Kopf und öffnete ein Auge einen Spalt breit.

Und dann... riss ich erstaunt die Augen auf. Die Schwellung war ein gutes Stück zurück gegangen und auch wenn der Blauefleck noch gut zu sehen war, so war es bei weitem nicht mehr so schlimm wie noch gestern.
Mit Make-up würde es sicherlich kaum noch auffallen.

Na guck! Um sonst Sorgen gemacht!

Ein breites Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Ich hatte so das Gefühl, heute wird ein guter Tag.

Innerhalb von zehn Minuten hatte ich meine übliche Schminke puls das Make-up auf mein Gesicht geschmiert und meine Zähne geputzt. Meine Schulsachen richtete ich darauf fröhlich pfeifend und irgendwie verspürte ich die Lust, Rührei zu machen.  Mit Bacon und Toast, mhhm ja! Das passte zu diesem Morgen!

Also stellte ich mich kurzer Hand an den Herd und machte eine große Portion Ei, sodass es locker für mich und Kathrin reichte.
Gerade als der Speck fertig angebraten und die Toasts gesprungen waren, hörte ich Schritte auf der Treppe und einige Sekunden später stand Kathrin in ihrer üblichen strengen Kleidung vor mir.

Sie musste gar nichts sagen, denn ich drückte ihr sogleich einen Teller mit Rührei, Bacon und zwei Toasts in die Hand und schaufelte mir den Rest auf meinen Teller.
Irritiert von meiner guten Laune zog die böse Königin eine Augenbraue nach oben und erinnerte mich mit einem harten Ton: "Vergiss nicht, du musst die Autos waschen".

Als ich nichts erwiderte drehte sie sich um und stapfte mit ihrem Essen weg.

Ich atmete einmal tief ein und wieder aus, musste aber feststellen, dass mir meine Strafe nichts ausmachte.

Woow Dumbo, heb nicht gleich ab. Schon vergessen, man soll...

... den Tag nicht vor dem Abend loben, ich weiß, ich wieß. Aber den Morgen kann ich ja wohl schon loben!

Bei deinem Glück baust du gleich einen Autounfall...

Ach was, ein bisschen gute Laune ist auch mir gegönnt.

Nachdem meine innere Stimme dann endlich die Klappe hielt und ich fertig gegessen hatte, sprintete ich wieder die Treppe nach oben. Dort schaute ich kurz nach Dad, der aber noch immer friedlich schlief. Trotzdem ging ich kurz hinein und legte mich neben ihn ins Bett.

"Hey Daddy. Ich wünsche dir einen schönen Tag", flüsterte ich und beobachtete ihn noch etwas.

Wenn er schlief hatte ich immer das Gefühl als wäre er noch mein Daddy. Als würde er aufwachen und wir würden zusammen lachen, so wie früher. Und auch wenn ich wusste, dass es nicht so war, konnte ich es, um des kleinen Mädchens Willen, das noch immer in mir gefangen war und ihre Eltern vermisste, nicht akzeptieren. Diese süße unschuldige Stimme sagte in meinem Kopf immer wieder: "irgendwann kommt Daddy zurück.  Warte ab, bald ist er wieder da."
Wie eine Mantra wiederholte sie es, klammerte sich daran fest. Und ich klammerte mich an diesem Mädchen fest, das mir das Gefühl gab, doch noch nicht alles verloren zu haben. Sie war meine Hoffnung, die mich dazu anleitete weiter zu machen.

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