Kapitel 81

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Dyans Sicht

Tatsächlich hatte ich nicht erwartet, dass es eine so große Erleichterung sein würde, meine Mutter hier zu haben. Doch als der Polizist uns nach der Anklage gefragt hatte, war mir das Ganze zu viel geworden. Ich wollte nicht etwas tun, dessen Folgen mir nicht mal bewusst waren, zudem hätte es sicherlich auch nicht mehr lange gedauert, bis unsere Mom entweder Ciara oder mich angerufen hätte, um zu fragen ob etwas passiert sei oder wo wir uns so spät noch aufhielten. Ja, wenn meine Mutter mal zu Hause war konnte sie wirklich sehr aufdringlich sein, vor allem wenn sie Schwierigkeiten witterte.

Während wir fast drei Stunden auf weitere Informationen über Tessa gewartet hatten, musste ich ihr erstmal alles bis ins kleinste Detail erzählen und dass sie bei jedem meiner Worte ein Jahr zu altern schien, hatte mir nur wenig dabei geholfen, meine eigene Angst im Zaum zu halten.
Ich hasste warten. Ich war ein Mensch der handelte,  seine Probleme in die Hand nahm und das beste daraus machte. Aber hier ruhig herumzusitzen, meinen Freunden dabei zu zusehen, wie ihnen nacheinander erschöpft die Augen zu vielen und meinen Gedanken ausgeliefert zu sein, war ungefähr so quälend, wie meine Hand ins Feuer zu halten und nicht zurückzuziehen.

Dass Tessa das hier nicht überstehen könnte hatte ich für mich ausgeschlossen. Wenn ich diese Option erst gar nicht in meinem Kopf zu lies, dann würde es auch nicht dazu kommen.
Aber das alles hier war deswegen trotzdem noch geschehen.
Mir war es kaum möglich nicht in eine Panikattacke auszubrechen, wie sollte ich da diese nagende Angst je wieder vergessen?
Mir fiel es schon jetzt schwer, Tessas Vater nicht einmal zu zeigen, wie es war das Opfer zu sein, wie sollte ich mich dann erst beherrschen, wenn ich die ganze Geschichte kannte?
Wie konnte ich Tessa ja wieder auch nur für eine Sekunde aus den Augen lassen, nachdem ich sie so gesehen hatte?

Ich war noch immer schwer verwundert darüber, wie rapide sich meine Ansichten in den letzten zwei Wochen verändert hatten, aber im Vergleich zu den letzten Stunden war das noch gar nichts.
Mir war gar nicht klar gewesen, was Angst alles bewirken konnte. Oder wie schnell man doch alles verlieren konnte.

Wie schwerelos fühlte sich mein Arm an, als ich meine Hand auf die meiner Mutter legte. Überrascht schaute sie zu mir rüber und ich entgegnete ihren Blick mit vollem Ernst. "Danke, dass du hier bist, Mom.  Ohne dich hätte ich das hier nicht geschafft."
Ich schluckte schwer und drehte mich wieder nach vorne. Doch meine Mutter musterte mich weiterhin von der Seite und auch ohne ihr Gesicht zu sehen, wusste ich wie traurig sie war.

"Ich weiß, wie es ist um eine Freundin zu bangen. Da braucht jeder eine stützende Hand."
Ihre Hand drehte sich unter meiner, bis sich ihre Finger mit meinen verflechten konnten.
"Und ich weiß auch wie tief die Freundschaft mit einer Anderson Frau geht."

Ich wagte es nicht, nachzufragen oder mich wieder ihr zu zu wenden, aber ich hoffte sie würde weiter sprechen, mich ablenken bevor ich verrückt wurde.

"Tessas Mutter und ich waren ungefähr im gleichen Alter,als ich euren Vater und sie Tessas Vater heiratete und es dauerte natürlich nicht lange, bis wir uns auf einem Geschäftsessen trafen." Ihr leises Lachen erschien viel zu laut in dem bedrückenden Wartezimmer, doch es war trotzdem schön mal wieder einen fröhlichen Laut zu hören, nach der Ewigkeit der letzten Stunden.

"Erika und ich fühlten uns in Mitten der Anzugträger und Nobeldamen gleichermaßen verloren, auch wenn unsere schicken Abendkleider darüber hinwegtäuschen sollten, da war es wirklich schön eine Gleichgesinnte zu treffen. Keiner dieser abgehobenen, aufgesetzten Frauen, sondern eine Normalsterbliche, die in das Ganze genauso unerwartet hineingerutscht war wie ich.
Danach hoffte ich bei jeder weiteren Veranstaltung sie wieder zu treffen und ich wurde nur selten enttäuscht. Unsere Männer, eure Väter, schienen stets das Gleiche Interesse gehabt zu haben, sodass es nur eine Frage der Zeit gewesen war, bis sie sich als Rivalen gegenüberstanden. Ich glaube es ging damals um eine Lagerhalle, die beide für ihre Produktion haben wollten.
Doch zu dem Zeitpunkt hatten Erika und ich uns schon längst befreundet. Fast jeden Mittag waren wir zusammen einen Kaffee trinken oder sonst irgendwie zusammen unterwegs. Sie wurde sogar nur einige Monate nach mir schwanger!
Aber so starrköpfig wie Männer nun mal sind wollten eure Väter nicht, dass wir uns weiter trafen, nachdem sie sich wegen dieser dämlichen Lagerhalle in die Haare bekommen hatten. Zu oft schnappte der andere dem einen etwas weg oder brachte ein ähnliches Produkt auf den Markt. Es war wirklich zum Verrückt werden! Aber das war für uns stets etwas unter unseren Männern gewesen, das keinen Einfluss auf unsere Freundschaft hatte. Wahrscheinlich hatten wir beide zu wenig Geschäftssinn, um deswegen dem anderen böse zu werden. Euren Vätern ließen wir dabei erst gar keine Chance. Vielleicht konnten wir sie nicht dazu zwingen einander zu mögen, aber uns trennen konnten sie auch nicht. Wir trafen uns so oft wie es ging und nachdem du und Tessa auf der Welt wart hatten wir sogar noch mehr Gemeinsamkeiten. Ihr habt früher so oft miteinander gespielt, dass kannst du dir gar nicht vorstellen! Erst als ich dann noch mit Cara schwanger wurde, verkomplizierte sich das alles.
Am Anfang war es noch immer kein Problem aber irgendwann fing dein Vater an herumzuspinnen, er wolle nicht, dass seine Kinder einem so schlechten Einfluss ausgeliefert werden. Natürlich habe ich trotzdem versucht, euch mit zu den Treffen zu nehmen, aber sobald ich mit euch das Haus verlassen wollte, wurde ich von ihm aufgehalten, bis ich schließlich nachgab und mich viel seltener und nur noch ohne euch mit Erika traf.
Ihr wart damals noch viel zu klein, als dass du dich heute noch an sie erinnern könntest."

behind the screenWhere stories live. Discover now