Kapitel 84

288K 11.9K 2.1K
                                    

"Dein Vater wurde heute Morgen in eine Entzugsklinik gebracht".

Hätte man mir erzählt, meine Mutter wäre von den Toten auferstanden, hätte ich es eher geglaubt als diesen Schwachsinn.

"Das kann gar nicht sein."
Schon fast beschämt wich Mrs. Lawyer meinem Blick aus und obwohl das nur ein mieser Scherz sein konnte, umklammerte ich Dyans Hand noch etwas fester.
Hoffentlich sagte er mir bescheid, wenn ich ihm die Blutzirkulation abdrückte.

"Nein, es macht gerade überall die Runde. Anscheinend hat sich deine Geschichte verbreitet wie ein..."
Mein bitteres Auflachen unterbrach sie mitten im Wort, aber für den Moment war es mir egal, wie unhöflich ich mich verhielt. Gerade erst hatte ich einen Entschluss gefasst, der mein ganzes Leben verändern sollte und dann wurde mir mal wieder dazwischen gepfuscht. Eigentlich hätte ich es mir ja denken können.

"Meine Geschichte?! Welche Geschichte denn?", selbst mir fiel der Hauch Hysterie in meiner Stimme auf.

Obwohl Mrs. Lawyer sich sichtlich nicht wohl fühlte, mir diese Informationen überbringen zu müssen hob sie tapfer den Kopf und entgegnete meinen Blick. Schon unglaublich, wie sehr ihre Augen denen von Dyan und Ciara ähnelten. Man konnte nicht bestreiten, dass die drei miteinander verwandt sein mussten. Bei meiner Mutter und mir hatte man das früher auch gesagt...

"Ein Lehrer an eurer Schule hat dich wohl schon länger beobachtet und einige Nachforschungen angestellt. Ich weiß nicht ob dir bewusst ist, dass... dass dein Vater auch in der Öffentlichkeit das ein oder andere Aufsehen erregt hat. Jedenfalls hat sich Mr. Comen oder so ähnlich..."

"Coleman", verbesserte ich sie automatisch und war mir nun vollkommen sicher, dass das alles nur erstunken war. Nicht dass es schon fragwürdig genug gewesen wäre, dass sich irgendein Lehrer genug für seine Schüler interessierte, um so ein Aufwand zu betreiben, aber bei Mr. Coleman war es völlig ausgeschlossen. Wahrscheinlich hatte er eher geplant, wie er mir für die Fehlstunden der letzten Tage noch eine 6 reindrücken konnte.

"Ja genau! So hieß er."
Mir entwich ein verächtliches Schnauben, doch Dyan mahnte mich mit einem sanften Händedruck, seine Mutter nicht schon wieder zu unterbrechen. Glaubte er wirklich das könnte wahr sein?

"Naja auf jeden Fall hat er sich alles zusammengereimt und dafür gesorgt, dass es an die Öffentlichkeit kam. Gestern gab es sogar einen Zeitungsbericht..."

"Das ist doch lächerlich!"
Ganz ehrlich, mir tat es Leid solche Umstände zu machen. Mir tat es Leid, so verkorkst und ignorant zu sein, doch das war einfach zu viel.
Ich hatte diese Tortur Monate ertragen genau um diesen Trubel zu umgehen. Weil ich wollte, dass es in der Familie blieb und nicht jeder x-beliebige sich aufgrund von Halbwahrheiten eine Meinung bildete.
Konnte man uns nicht einfach in frieden lassen?!

Anscheinend konnten die Lawyers in mir wie in einem offenem Buch lesen, denn sowohl Dyan als auch seine Mutter betrachteten mich mitleidig.
"Tut mir Leid Schätzchen, ich habe ihn sogar dabei."

Mrs. Lawyer drehte sich um und griff in ihre Tasche, die auf einem Sessel hinter ihr stand. Man hörte das verräterische Rascheln, bevor sie die örtliche Zeitung hervorholte.
Die fette Überschrift war sogar aus der Entfernung noch zu erkennen.
"Vater schlägt Kind krankenhausreif- der Druck von Geld und Macht."
Nur zittrig entwich die Luft meinen Lungen so sehr musste ich mich zurückhalten.
Was fiel diesen Bastarden ein?!
Nicht einmal mit mir geredet hatten sie und meinten etwas über meine Familie veröffentlichen zu können?!

"Wisst ihr was, wir verklagen einfach diese Leute! Was denken die sich nur..."

"Beruhige dich, Tessa. Für dich muss das hart sein, dein Leben in ein paar Zeilen gequetscht zu sehen, aber bedenke einmal die Vorteile. "
Verblüfft starrte ich zu Dyan hoch, der sich zum ersten Mal zu Wort gemeldet hatte, doch meine Überraschung schwang schnell in Wut um.
Ich versuchte ihm meine Hand zu entziehen.
"Welche Vorteile denn? Mein Vater ist jetzt unerreichbar. Solange er im Entzug ist..."
"...Wird ihm geholfen. Ganz genau.
Vielleicht hat er jetzt die Möglichkeit zumindest einen Teil seines früheren Ichs zurückzugewinnen. Komm schon, lass deine Gefühle  nicht deine Sicht trüben."

behind the screenWhere stories live. Discover now