Kapitel 47

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Belle

Die Kette war kein Ersatz für meine Mutter. Es war ein Andenken an sie. Das Letzte, das ich noch hatte. Aber es war endgültig fort. Eine Stunde Suchen für nichts. Oben hatten sich die Wolken in dichten Haufen gesammelt, drauf und dran zu schütten, als ich mich langsam auf den Weg zum besagten Waldrand machte.

Noch immer wütend auf Jack, legte ich das Fußkettchen an. Auf diese Weise könnte ich vielleicht wenigstens eine Sache wieder gutmachen. Vielleicht würden Dad und Jason mir dann verzeihen, wenn ich ihnen von meiner Kooperation mit den Blauen erzählte. Vielleicht schaffte ich es wirklich wieder in mein altes Leben zurückzukehren. Ich musste nur lange genug durchhalten. Ich war doch schon so kurz vor dem Ziel, so kurz vor dem roten Viertel, vor meinem Zuhause.

Augen zu und durch.

Ich hörte es irgendwo rascheln, aber als nichts darauf folgte, lief ich weiter. Es könnte ein Blauer, aber es könnte auch nur der Wind gewesen sein.

Alleine um die Uhrzeit unterwegs zu sein war unheimlich. Wie hatte ich nie bemerkt, dass die Bäume selbst in der Nacht unheimliche Schatten auf mich warfen? Und das Heulen des Windes, peitschte er schon immer so laut um meinen Ohren? Und war das gerade eine Eule, die mich aus seinen leuchtenden Augen vom Ast aus beobachtete?

Beängstigend. Der Wald war mir anders in Erinnerung geblieben. Die Bäume, die im Funkeln der Sterne zum leise pfeifendem Wind tanzten und kleine Tiere, die hier und da umherliefen. Und der Mann, der mittendrin saß und zu den Sternen aufsah.

Ich schüttelte mich. Nein. Das war die Realität. Der kalte, dunkle Wald, der mich zu verschlingen drohte. Der mir ein schönes Bild hingekauert hatte und mir erst jetzt seine wahre Natur offenbarte. Soweit es ging, zog ich mein Tempo an. Trotz meiner Erschöpfung und meinen vor Kälte gelähmten Beinen. Ich wollte nicht alleine nachhause finden, das konnte ich nicht. Die Blauen brauchten mich, um den Aufenthaltsort des Farblosen im Augen zu behalten. Mich jetzt auf eigene Faust ins rote Viertel zu schlagen wäre naiv und egoistisch. Und Shane konnte ich ebenso nicht einfach im Stich lassen.

~~~

»Na sieh mal an, wer sich schließlich doch entschlossen hat, sich uns anzuschließen.«, hörte ich seine spöttische Stimme bevor ich ihn überhaupt registrierte.

Mein Blick folgte der Stimme und da saß er, gehässig auf dem Baum, an dem er den Roten gefesselt hatte und hielt ein Brot in der Hand. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen den dicken Baumstamm, die Beine hatte er weit von sich streckend übereinander geschlagen. Lässig nahm er einen Bissen von seinem Brot und schenkte mir nicht weiter die geringste Aufmerksamkeit.

»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Shane stattdessen, der nur an den Füßen und Armen gefesselt am Baum lehnte und ebenso ein Brot vor sich hatte.

»Ich wurde von einem Blauen geschlagen und dann bedroht.«, zuckte ich die Schultern als wäre es nichts. »Dann habe ich etwas gesucht, das ich verloren habe.«

Shane blinzelte geschockt. »Geht es dir gut?!«

Ich setzte an, ihm zu antworten, aber ein gewisser Jemand von oben, auf einem Ast weit über Shane, kam mir zuvor. »Mal abgesehen von ihrem Verstand, scheint alles noch unversehrt.« kommentierte Jack trocken und nahm einen weiteren Bissen ohne mich anzusehen.

Ob er meinen mordlustigen Blick, den ich auf ihn richtete, überhaupt bemerkte?

»Das ist nicht lustig!«, fauchte Shane, konnte aber nicht zu Jack sehen, der über ihm auf einem langen Ast hockte.

Der Farblose ließ seinen Restmüll absichtlich genau auf Shanes Kopf fallen und murmelte gelangweilt: »Ruhe auf den billigen Plätzen.«

Blind griff ich nach einem Stein und schleuderte ihn Jack entgegen. Nur leider verfehlte ich seinen Kopf um genau einen Zentimeter. Dieser zuckte überrascht zusammen und funkelte mich schließlich wütend an. »Lass den Scheiß!«

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt