Kapitel 72

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Belle

Das Zwitschern der Vögel weckte mich aus einem unruhigen Schlaf. Stöhnend richtete ich mich auf und starrte den kahlen Boden an. Wie lange hatte ich geschlafen? Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass sich die ersten Sonnenstrahlen zeigten und den Wald in eine Mischung aus rot und grün versenkte. Ich blickte rüber zu meinem Vater, der auf der Couch eingeschlafen war, um mir die kleine Pritsche zu überlassen. Erschöpft schob ich die Decke von mir und stand auf. Nachdem ich meinen Vater damit zugedeckt hatte, verließ ich die Hütte auch schon. Frische Luft würde mir vielleicht guttun. Bevor jeder aufwachte und ein neuer, nicht enden zu wollender Tag begann. Bevor ich erneut Entscheidungen treffen musste. Bevor ich wieder aufs Neue an die chaotische Gegenwart und unbekannte Zukunft erinnert werde.

Ruhe. Einfach nur Ruhe. Das ist es, was ich wollte, aber nie bekommen würde. Wenn sich um mich herum die Stille auf die Leute senkte, wurden die Stimmen in meinem Kopf lauter, Erinnerungen wacher und die Sorgen größer. Der Chaos um mich herum hatte mich bis jetzt abgelenkt, mich gezwungen aufmerksam zu bleiben und hatte mich auf Beinen gehalten.

»Guten Morgen.«, begrüßte mich einer der wache haltenden Farblosen als ich an ihnen vorbei ging, um mich dem Waldrand zu nähern.

Hier hatten Pherb und ich Beeren gesammelt. Und hier war ich entlang gerannt, um dieser Hölle zu entkommen. Ein schwaches Lächeln stahl sich auf meine Lippen als ich daran dachte wie ich über meine eigenen Füße gestolpert war und Jack mich wütend angefahren hatte. Das war nicht meine schlauste Aktion gewesen.

»Ich werde einen kleinen Spaziergang machen.«, erklärte ich den Wachen und schob mich an ihnen vorbei. Sie hatten nur verständnisvoll genickt.

Jeder hier verhielt sich anders. Sie hatten sich um 180 Grad gewendet und ließen es mich spüren. Eine stumme Entschuldigung für die Vergangenheit.

Vergangenheit... War es das? War die Kluft zwischen mir und den Farblosen nun Vergangenheit? Einfach so? Von heute auf morgen? Konnten Menschen sich überhaupt so abrupt verändern? Das hoffte ich. Denn auf einen weiteren Hinterhalt, noch einen Verrat hatte ich keine Energie mehr. Diese wurde schon vor längerer Zeit ausgeschöpft.

Ich hatte gar nicht bemerkt wohin mich meine Füße so lange trugen bis ich hier stand. Vor dem See. Hier hatte sich Jack einmal zurückgezogen und ich war ihm hier aufgelauert. Damals war ich eine wahrhafte Idiotin gewesen. Leise näherte ich mich dem Steg in weiter Entfernung. Doch da saß bereits jemand und hatte die Füße ins kalte Wasser getaucht.

Mir stockte der Atem. Erinnerungen an jenen Tag durchfluteten mich. Genau so hatte ich Jack damals hier entdeckt. Mit dem Rücken zu mir. Und egal wie leise ich mich verhalten hatte, hatte er mich gehört und mich aufgehalten bevor ich mich wieder vom Acker machen konnte.

Doch das hier war er nicht. Das konnte er nicht sein. Ich versuchte zu atmen. Ich hatte gar nicht bemerkt wie ich unbewusst die Luft angehalten hatte und die Rückenmuskulatur des Fremden studierte. Wieso suchte ich nach Gemeinsamkeiten? Es bestand nicht einmal die Chance, dass er es war.

Mit einem dicken Kloß im Hals wich ich einen Schritt zurück. Das bildete ich mir ein. Es war eine Einbildung, eine Halluzination. Mehr nicht. Ich sollte zurück.

»Du bist wach.«

Nein, Nein, Nein.

Mein ganzer Körper erstarrte zu einer Statue und wagte es nicht auch nur einen Muskel zu bewegen.

Nein. Das war er nicht. Das bildete ich mir nur ein. Er ist gestorben. Er ist gestorben. Gestorben.

Ein Schluchzen entwich mir, als Schritte hinter mir erklangen. Das Rascheln der Blätter, das Geräusch brechender Äste, wenn jemand auf sie trat... So real.

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWhere stories live. Discover now