Kapitel 2

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Jack

Konzentriert spannte ich den Bogen und nahm mein Ziel ins Visier. Das Reh. Es trank friedlich aus dem See und ahnte nicht einmal ansatzweise, welche Gefahr hinter ihr lauerte. Ein letztes Mal überprüfte ich den Halt meiner Finger am Pfeil, dann ließ ich auch schon los und traf. Genau in die Mitte, genau auf den Punkt, auf den ich gezielt hatte. Das verletzte Reh sprintete mit letzter Kraft davon. Mit einem kurzen Handzeichen nahmen meine Leute die Fährte auf und ich reichte den Bogen und den Pfeilköcher weiter. Ab hier mussten sie alleine zurechtkommen.

»Das war eine gute Jagd.«, erschien Drake, mein bester Freund neben mir als ich in die entgegengesetzte Richtung loslief. Er war sichtlich zufrieden mit unserer Arbeit. »Heute wird keiner hungrig zu Bett gehen!«, legte er lachend einen Arm um mich, den ich gleich wieder wegschob. Bemerkte er denn nicht, dass wir neben dem noch viele andere Probleme hatten?

»Ja«, sagte ich. »Habt ihr neue Medikamente besorgt? Gestern gab es kaum noch was.«

»Sie arbeiten noch daran. Unsere Männer sind noch nicht zurück von der Mission.«

Ein Seufzen entwich mir. »Was kriegen sie überhaupt hin?«

Drake zuckte die Schultern. »Sie haben es auch nicht einfach.«

Gestresst fuhr ich mir über das Gesicht. »Wie auch immer. Sie sollen sich zusammenreißen, wir haben dieses Jahr mehr Kranke als je zuvor.«

»Ich hab' gehört du gibst deine ganzen Essentickets für Liz aus, stimmt das?«

Abrupt blieb ich stehen. »Wer sagt das?«

Auch er blieb stehen und kratzte sich unwohl am Arm. »So Einige«

»Dann sag ihnen, dass sie sich um ihren eigenen Scheiß kümmern sollen.«, fauchte ich und lief weiter.

Es ging niemanden etwas an, was ich mit meinen Tickets anrichtete. Ich könnte sie genauso gut in der Luft zerreißen und es ginge immer noch niemanden was an. Mir war bewusst, dass es sehr kostbar war, was ich da verschenkte, aber wer wäre ich, wenn ich essen würde mit dem genausten Wissen, dass es Menschen auf der Krankenstation gab, die verhungerten?

Aufgrund unseres geringen Vorrats, hatte Bill beschlossen, Limits für Nahrungsmittel einzuführen. Jede Woche konnten sich alle, sogenannte Tickets für jeden Tag von der jeweiligen Station abholen. So hatte jeder das Recht auf eine warme Mahlzeit pro Tag. Das war hier noch Luxus. Doch sehr bald würde das nicht mal mehr ausreichen.

»Wenn wir zurück sind, spreche ich nochmal mit Bill. Wir müssen uns langsam auf die Suche nach ihnen begeben.«, äußerte ich mich zum vorherigen Problem.

Noch bevor wir uns hinsetzen konnte, lief ich schon ins Büro von Bill, das sich in der Mitte unseres kleinen Viertels befand. Ich betrat das schwarze Haus und ging dabei an seinen Bodyguards vorbei. »Wo ist Bill?«, fragte ich Jason, einen seiner Leute. »Oben.«, half dieser mir weiter. Mit einem kurzen Nicken dankte ich ihm und lief hoch.

Diesmal war ich fest davon entschlossen mich durchzusetzen. Ich konnte nicht zulassen, dass unserem Volk etwas zustieß, nur weil er zu stur war eine Suchtruppe loszuschicken. Vor seiner Tür klopfte ich an und wartete auf ein Zeichen seinerseits. Keines ertönte, ich klopfte erneut. Ungeduldig tippte ich mit dem Fuß auf den Boden. Scheiße Bill, mach endlich auf. Als hätte er mich erhört, bat er mich herein.

Mir in die Gedanken herbeirufend, warum ich hier war, trat ich ein und stand nun vor ihm. Seine alten Augen erblickten mich, weswegen sein Blick steinern wurde. Ich unterdrückte mir ein Schnauben.

»Wenn du wieder wegen einem Suchtrupp anfangen willst, dann kannst du dich gleich wieder verpissen.«, setzte er seinen unerschütterlichen Standpunkt nochmal klar.

»Wir müssen es aber tun.«, machte ich mich auch deutlich. »Es geht hier um unser Volk.«

»Es geht hier um mein Volk. Du hast hier nicht das letzte Wort.«

Wütend leckte ich mir über die Unterlippe. »Dann kümmere dich gefälligst auch um dein Volk!«, zischte ich.

Ruckartig stand er auf, sein Stuhl klappte nach hinten und landete krachend auf dem Boden. »Willst du mir etwa vorwerfen, mich nicht gut genug um mein Volk zu kümmern?!«

Ich streckte mich, nahm eine aufrechte Haltung ein, reckte das Kinn. Er kriegte mich nicht mehr runter. Die Hände kreuzte ich hinter meinem Rücken, die Beine leicht gespreizt und die Brust raus. »Ja.«

Ein verächtlicher Ton verließ seinen Mund. »Du hast wohl vergessen, wer dich großgezogen hat?«

»Das weiß ich«, brachte ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Jedes Mal aufs Neue erinnerte er mich an meine Vergangenheit.

»Das hat nichts mit dem hier zu tun.«, versuchte ich meinem Großvater zu verstehen zu geben.

Stur schüttelte er den Kopf, dabei stach mir sein Tattoo am Hals wieder ins Auge. Schnell sah ich weg. »Nach mir, wirst du der Anführer dieser Menschen. Sie werden sich auf dich verlassen. Das tun sie jetzt bereits, aber wenn du in meine Fußstapfen trittst, wird ihr Vertrauen noch intensiver.«  Er ging um seinen Tisch auf mich zu. »Ich habe diesen Menschen ein Versprechen gegeben. William hat uns allen etwas Wichtiges genommen. Jeder hat seinen eigenen Grund nach Rache zu trachten. Auch du« Er drückte mir seinen Zeigefinger in die Brust. »Denk an deine Eltern. Denk daran was die Reichen ihnen angetan haben.«

Automatisch wanderte mein Blick zur Wand hinter ihm, an der ein Foto von den beiden, mit mir in den Armen, hing. Wut loderte in mir auf. Ich sah wieder zu Bill. »Gut so. Ernähr dich von dieser Wut. Lass zu, dass es Kontrolle über dich nimmt. Diese Wut, dein großer Verlust wird dir den richtigen Weg zeigen. Und auf diesem Weg musst du dieses Volk führen. Verstehst du?«

Verwirrt blinzelte ich. Wie hatte ich zugelassen, dass er wieder die Kontrolle über dieses Gespräch gewann? Wie hatte er es geschafft, dass ich ihm Recht gab?

Zustimmend nickte ich.

»Deswegen überlasse ich jetzt dir die Entscheidung.«

Ich räusperte mich. »Ich werde die richtige Entscheidung treffen.«

Wissend nickte er. »Ich weiß.«

Überzeugt von meiner Wahl stieß ich zu den anderen, die im Gemeinschaftsraum Essen austeilten. Hier hatte jeder das Recht auf eine Semmel und eine Mahlzeit pro Tag, wenn man sein Ticket vorweisen konnte. Bei Kleinkindern sah die Verteilung anders aus als bei den Erwachsenen oder bei den Soldaten und Suchtruppen.

Nach einer kurzen Diskussion mit meinen Männern, erklärte ich den Plan. Zu dem Zeitpunkt wusste ich allerdings noch nicht, dass Plan Night vorgeschoben wurde.



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Das ist ein kleines Zusatzkapitel von mir. Am Freitag kommt das nächste Kapitel.
Gerne könnt ihr eure Meinung hinterlassen. Würde mich sehr freuen :)

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt