Kapitel 10

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Belle

Unsanft wurde ich aus meinem tiefen Schlaf gerissen. Irgendwer rüttelte ungeduldig an meinem Arm, weswegen ich genervt die Augen aufschlug. Doch im selben Moment schrak ich lauthals zurück und sprang auf Abstand zu dem Fremden vor mir. Was zur...? Erst nach einigen Sekunden dämmerte es wieder bei mir. Gestern, Überfall, Farblose!

»Mitkommen.«

Mia war längst wach und sah mich unbeholfen an, als ich mir durch das Gesicht fuhr. Mein Herz pochte noch laut in meiner Brust. Wie konnte ich so schnell einschlafen? An einem fremden Ort? Im schwarzen Viertel?!

»Habe ich etwas verpasst?«, fragte ich, während ich versuchte meine zerzausten Haare mit den Fingern durchzukämmen.

Wortlos schüttelte sie den Kopf und stand auf als sie den Farblosen erneut in der Tür entdeckte. Ungeduldig machte er eine Kopfbewegung nach draußen. Etwas zögerlich stand auch ich auf und folgte ihm.

»Wohin gehen wir?«, fragte ich als wir die Hütte verließen und an der Straße entlangliefen. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen wie nervös ich war. 

Er antwortete nicht und sah stattdessen stur geradeaus. Doch das musste er auch nicht mehr. Ich erblickte das größte Haus in dieser Gegend, welches dank seiner schwarzen Hauswände am meisten hervorstach. Und mir fiel wieder dieser Anführer Bill ein. Da brachten sie uns hin: Zum Foltern! Abrupt blieb ich stehen und klammerte mich an Mias Arm. Sie hüpfte überrascht zur Seite.

»Wir rennen jetzt, okay? Sie werden uns sonst foltern!«, flüsterte ich in voller Panik in ihr Ohr, doch das blieb nicht unbemerkt.

»Warum bleibt ihr stehen? Wir sind noch nicht da! Weiter!«, murrte der Farblose und ermahnte uns mit seinen stechend blauen Augen, die er zu Schlitzen formte.

Ich nickte und lief langsam weiter. Blieb aber an Mias Seite.

»Wir können nicht, Miss.«, erwiderte sie genauso leise während wir uns dem mysteriösem Haus näherten.

»Wir müssen es aber versuchen!« Meine Stimme bebte. Viel zu groß war plötzlich die Angst vor dem was uns geschehen würde.

»Es tut mir leid, Miss, aber ohne mich.«, weigerte sich Mia kopfschüttelnd und entlockte mir einen frustrierten Seufzer.

»Dann werde ich gehen.«, setzte ich klar und sah mich bereits nach Fluchtwegen um.

»Hier sind nur Farblose. Das ist viel zu gefährlich. Seien Sie nicht naiv.«

Es war das erste Mal, dass sie so mit mir sprach. Seien Sie nicht naiv. Hier zu bleiben war naiv!

Meine Augen schweiften durch den gesamten Platz. Der Morgen brach erst an, weswegen noch nicht allzu viele draußen waren. Es waren hauptsächlich Wachleute zu sehen. Aber auch ihre Augen folgten jeder unserer Bewegungen. Es würde schwer werden, aber ich musste es einfach versuchen!

»Letzte Chance.«

»Ich verzichte.«

Wie sie wollte. Auch wenn ich nicht alleine durch die Wälder ziehen wollte, um den Weg zurück nachhause zu finden, wollte ich nicht hierbleiben. Wir wussten nicht, was gerade auf uns in diesem schwarzen Haus wartete. Dieser Bill schien hier hoch angesehen, er war immerhin der Anführer dieser Kriminellen. Wie er sich dieses Ansehen verdient hatte, wollte ich heute sicherlich nicht herausfinden. Das wollte ich auch in der Zukunft nicht.

Als ich den Waldrand zu unserer rechten Seite erkannte, überlegte ich nicht mehr lange. Meine Instinkte übernahm die Kontrolle und meine Beine bewegten sich automatisch. Ich ergriff die Möglichkeit, sprintete los ohne einen letzten Blick zurückzuwerfen. Der kleine Überraschungseffekt gab mir einen kleinen Vorsprung, aber nicht lange und gefühlt jeder war mir auf den Fersen. Ich zog mein Tempo an und kam dem Wald schon näher. Aber ich war noch zu weit weg. Mein Herz raste und das Adrenalin pumpte in meinen Venen. Noch ein paar Meter.

Ein paar!

Doch ich stolperte über meine eigenen Füße und stürzte unsanft auf den harten Boden. Dabei schürfte ich mir die Beine von oben bis unten auf, weil ich über Steine glitt. Ich zischte auf und Tränen strömten mir sofort über die Wangen. Die Farblosen erreichten mich, aber ich blieb sitzen. Ja, ich gab auf. Am ganzen Leib zitternd, zog ich die Knie an. Ob es an den Schmerzen oder an der nun noch größeren Angst, die mich überkam, lag, wusste ich nicht. Ich zitterte wie ein nasser Welpe und traute mich nicht aufzusehen. Das Blut färbte meine Hose komplett rot und nur an den zerrissenen Stellen hatte ich kleine Einblicke auf meine aufgeschürfte Haut. Mein Magen drehte sich. Unter der Jeans brannte es regelecht! 

Ich biss mir auf die Unterlippe, um einen Schluchzer zu unterdrücken. Es tat weh. Mir tat alles weh! Selbst das Herz wurde mir auf einmal schwerer in meinem Brustkorb und meine Atemwege wurden enger.

Um mich herum hatte sich ein Kreis gebildet. Die Panik in mir stieg an genauso wie der Scham. Ich hätte auf Mia hören sollen. Ich hätte gar nicht erst auf diese blöde Idee kommen sollen! Ich hätte-

»Was macht sie hier?«, unterbrach eine bekannte Stimme meine Gedankengänge. Automatisch blicke ich hoch. Jack stand wütend vor mir und sah auf mich hinab. »Was zur Hölle?!«

Schnell wandte ich den Blick wieder ab und versuchte von alleine aufzustehen, aber keuchte schmerzerfüllt auf als sich meine Hose an meine Haut rieb. Sofort griff man mir unter die Arme und half mir auf. Anfangs zuckte ich zurück, weil ich dachte sie wollten mir Böses, aber als ich erkannte, dass sie mir nur auf die Beine helfen wollten, ließ ich es zu. Gemeinsam mit ihnen, und Jack hinter mir, humpelte ich nun doch ins schwarze Gebäude, in das wir von Anfang an hinsollten. Irgendwas in mir verkrampfte sich.

»Sie kommt in ein anderes Zimmer.«, hörte ich Jack den Anderen sagen, aber ich merkte, dass er extra für mich laut sprach.

»Aber sie kommen doch beide-«

»Ich habe meine Meinung geändert. Um sie werde ich mich höchstpersönlich kümmern. Ihr seid für die Andere verantwortlich.«

Ein seltsames Schweigen legte sich auf die Anwesenden. Es war keine angenehmen Stille, sie verriet mir nichts Gutes und stellte meine Nackenhaare auf. Was wollte der Farblose von mir? Wollte er mich foltern?

Mein Herz setzte einen Schlag aus als ich seine Worte realisierte. Seine Stimme hatte einen gefährlichen Ton angenommen und die Bedrohung war mir nur allzu bewusst. Er hatte mich bereits im Wald gewarnt gehabt. Mir schossen die unterschiedlichsten grausamen Dinge, die er mir antun konnte, durch den Kopf. Ich verzog den Mund und biss mir erneut auf die Lippen.

»Hier rein.« Hier trennten sich unsere Wege. Die zwei Farblosen, die mich gestützt hatten, ließen von mir ab und stießen mich in einen kleinen Raum. Es gab hier nur eine Couch mit einem dazugehörigen Tisch und Sofa schräg dazu. Aber noch viel wichtiger als die Innenausstattung des Zimmers, war die Tatsache, dass es hier kein einziges Fenster gab. Weder um daraus fliehen zu können, noch um von außen einen Blick ins Innere erhaschen zu können. Es würde keine Zeugen geben...

Mia hatte mir einen letzten traurigen Blick zugeworfen ehe sie den Gang weiter geführt wurde. Während Jack seine letzten Anweisungen verteilte, hielt ich Ausschau nach einer Waffe, aber war nicht schnell genug um mir die Tischlampe unter den Nagel zu reißen, da kam der Anführer wieder.

»Setz dich hin.«, wies Jack mich an und schickte den letzten Farblosen weg. Meine Atmung ging flacher. Ich wünschte mir, dass wenigstens eine Person dabei bleiben würde. Sie hatten mir aufgeholfen und erweckten nicht einmal ansatzweise den gleichen bedrohlichen Eindruck wie Jack. Ich wollte nicht alleine mit ihm sein. Er konnte mich nicht ausstehen und tat mir bestimmt sonst was an, weil ich wieder gegen seine Regel verstoßen hatte!

Ab jetzt sollte ich ihm wirklich keinen weiteren Grund mehr geben, mich zu bestrafen. Deswegen nahm ich brav Platz auf dem Sofa. So hatte er nur noch Platz auf der Couch - weiter weg von mir.

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWhere stories live. Discover now