Kapitel 55

2.5K 173 16
                                    

Belle

Ich wusste nicht, wann ich eingeschlafen war, aber als es an meiner Tür klopfte, war es draußen bereits hell.

Müde rieb ich mir die Augen und richtete mich ein wenig auf während ich gleichzeitig die Person reinrief. Ich streckte mich ausgiebig und gähnte, aber verharrte in meiner Position mit den Armen über dem Kopf als ich Shane das Zimmer betreten sah.

Überrascht schossen meine Augenbrauen in die Höhe als ich langsam wieder zu mir kam und die Arme sinken ließ. »Was machst du hier?«, fragte ich geradewegs und sah ihm dabei zu, wie er sich zögernd dem Stuhl neben meinem Bett näherte.

Shane schluckte schwer. »Ich wollte nach dir sehen.«

Verachtend schnalzte ich mit der Zunge. »Wieso?«

Er nahm Platz. »Weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe.«

Mhm. »Wie du siehst, geht es mir hervorragend. Du kannst also wieder gehen.« Ich hatte nicht vergessen, was er über das blaue Krankenhaus und ihre Taten dachte. Ich hatte nicht vergessen, dass er solche Vergehen für guthieß und das würde ich auch nie.

»Belle.«

Unberührt erwiderte ich seinen Blick. In seinen blauen Augen, die ich früher immer mit dem Ozean verglich, entdeckte ich die Erschöpfung der letzten Tage. Auch ihm ging das Ganze nahe.

»Alles, was passiert ist, war meine Schuld. Ich hätte dich und dieses Dienstmädchen niemals-«

»Mia«, verbesserte ich ihn. »Dieses Dienstmädchen von der du redest, heißt Mia.«

Er räusperte sich irritiert. »Wie auch immer. Ich hätte euch nie alleine lassen dürfen und es tut mir aufrichtig leid... Seit jenem Tag konnte ich nicht mehr ruhig schlafen, meine Gedanken drehten sich andauernd um dich.«

Um mich? Wem würde es nicht so ergehen, wenn man die Aufgabe hatte die Tochter des mächtigsten Mannes im Land zu beschützen und dabei kläglich versagt hatte?

»Ich werde die Farblosen niemals in dem Licht sehen wie du es anscheinend tust, ich-«

Mir schoss die Röte ins Gesicht. »Von welchem Licht sprichst du?«

Shane seufzte. »Du kannst ihnen so leicht und schnell verzeihen. Du hast Mitleid mit ihnen, weil dich ihre Geschichten komischerweise ansprechen. Und genau das kann ich nicht. Ich glaube nur daran, was ich sehe, was ich persönlich erlebe und lass es dir von mir gesagt sein: Das sind nicht Leute, für die du sie hältst. Das sind Barbaren! Sie kennen keine Grenzen, sie sehen nur ein Ziel und das verfolgen sie erbarmungslos, auch wenn sie dabei über etliche Leichen gehen müssen!«

Seine Stimme zitterte gegen Ende. Und erst dann begriff ich, dass es um mehr als nur seine Denkweise, seinen Hass gegenüber Farblosen ging. Er arbeitete als roter Sicherheitsmann. Er hatte mehr Auseinandersetzungen mit Farblosen erlebt gehabt als ich.

»Wen haben sie dir genommen?«, fragte ich direkt und versuchte dabei, nicht kalt und emotionslos zu klingen.

Shanes Kopf schnellte hoch, seine Augen verhakten sich mit meinen. Und mein Herz zog sich leicht zusammen als sich Tränen in diesen, normalerweise tapferen, Augen sammelten. »Wen haben sie mir denn nicht genommen?«, erwiderte er plötzlich mit schwacher Stimme.

Es brach mir das Herz Shane so verletzlich zu sehen. Wie konnte ich vergessen, dass es auch andere Leute gab, denen die Farblosen geliebte Menschen entrissen hatten?

»Michael und du standen euch nah...« Vor meinen Augen erschien seine Leiche von jenem Tag.

Shane nickte abwesend. Nun verstand ich, warum er an dem Tag so aufgewühlt war und warum er uns verlassen hatte als seine Kollegen nach Hilfe riefen. Er wollte nicht noch mehr seiner Kameraden verlieren...

»Es tut mir leid, Shane.« Ich schluckte und näherte mich ihm. »Dein Verlust tut mir leid, aber auch, dass ich nie nach deinem Wohlergehen gefragt habe. Ich war zu versessen von dem Tod meiner Mutter, fixierte mich nur auf meinen eigenen Verlust, da dachte ich nie an die Leute um mich herum, die vielleicht genauso leiden könnten.«

Mir kam mein Vater in den Sinn. Wenn ich meine Mutter verloren hatte, verlor er seine Frau. Und ich hatte ihm all die Jahre so vieles vorgeworfen. Wieso fiel mir das so spät auf? Wieso hatte ich nicht viel früher sehen können, wie die Menschen um mich herum genauso gelitten hatten?

»Michael war ein guter Freund von mir. Aber vor ihm gab es noch sehr viele, die das gleiche Schicksal wie er erlitten.«

Ich nickte einfühlsam und legte meine Hand auf seine, drückte diese leicht, um ihm zu signalisieren, dass ich ihn verstand. Dass ich für ihn da war, wenn er weitersprechen wollte.

Aber das tat er nicht. Stattdessen schenkte er mir ein schwaches Lächeln. »Danke, Belle.« In seinen Augen funkelte etwas Liebevolles, weswegen ich mich wieder zurückzog und mich in meine Decke kuschelte.

Kurz herrschte unangenehme Stille zwischen uns. Als er wieder das Wort ergriff, hätte ich beinahe erleichtert aufgeatmet. »Du darfst heute nachhause, habe ich gehört.«

»Ja«, erwiderte ich räuspernd. »Das wird wohl das letzte Mal sein, dass ich den Palast von außen betrachten werde...«

Shane fing an zu grinsen. »Wenn du jemals eine Auszeit vom inneren Chaos brauchen solltest, werde ich dir diesen verschaffen.«

Ungewollt stieg mir die Hitze in die Wangen und ich musste mich erneut räuspern. »Äh, danke, Shane.«

Für sein Angebot war ich ehrlich dankbar, aber ich würde ihn niemals um so etwas bitten. Er hatte schon genug Ärger am Hals gehabt als ich den Markt besuchen wollte. Mein Vater würde mich nie mehr wieder ihm anvertrauen. Man würde ihn wohl durch jemand anderen ersetzen, wenn ich erst wieder zurück war. Es überraschte mich ohnehin, dass er seinen Job nicht verloren hatte.

Shane setzte an, weiter zu sprechen, aber ein Klopfen an der Tür unterbrach unser Gespräch.

Es war Dad. »Hast du schon gepa-«, verharrte er in der Tür und starrte seinen Sicherheitsangestellten überrascht an. Dieser sprang wie von der Tarantel gestochen auf die Beine und verbeugte sich vor meinem Vater und begrüßte ihn höflich.

»Störe ich?« Nun warf er mir einen Blick zu. Ich schüttelte den Kopf. Was er wohl gerade dachte? Oh Gott, wie peinlich!

»Ich wollte gerade gehen, Mister Night.«, versuchte Shane sich davonzustehlen, aber mein Vater hielt ihn zu meinem Pech auf.

»Du kannst gleich bleiben und Belles Koffer runter tragen.«

»Natürlich, Sir.« Der Arme blickte mich fragend an und trat unwohl von einem Fuß auf den anderen. Fast hätte ich über sein Unbehagen gelacht.

»Ich muss noch packen. Wenn du in der Zeit draußen warten könntest, wäre es perfekt. Danke.«

Erleichtert atmete dieser aus und verließ eilig den Raum nachdem er sich ordentlich bei uns entschuldigt hatte.

»Läuft da was zwischen euch?«, fragte mein Vater geradewegs sobald die Tür zufiel.

Mich überkam plötzlich ein Hustenanfall. »Nein! Wie- Wie kommst du auf so einen Schwachsinn?!«

Unbeeindruckt setzte er sich auf den Platz, auf dem Shane vorhin noch saß. »Ihr scheint so vertraut.«

Ich schluckte den Scham runter - spürte allerdings immer noch eine immense Hitze im ganzen Gesicht - und schüttelte erneut den Kopf. »Da ist nichts.«

Mein Vater nickte nur unbekümmert und hustete schwer ehe er fortfuhr. »Ich hoffe du weißt, dass du Besseres verdienst.«

Ich verdrehte die Augen und änderte das Thema. »Warst du eigentlich schon bei deinem Arzt? Dein Husten wird immer schlimmer und gesund siehst du auch nicht aus...«

»Du musst dir keine Sorgen um mich machen. Ich habe mich bereits untersuchen lassen, mir geht es gut.«

Nicht überzeugt von seiner Aussage, hievte ich mich aus dem Bett und stopfte die wenigen Kleidungsstücke, die mir Sierra an meinem ersten Tag vorbeigebracht hatte, in den Koffer. Dabei suchte ich einige saubere zusammen, die ich heute tragen würde und verschwand damit im Badezimmer.

Doch als ich zurückkehrte, entwich mir ein Schrei als ich meinen Vater reglos am Boden vorfand.




Ein kleines Zusatzkapitel :)

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt