Kapitel 11

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Jack

Ich sah zu. Wir alle sahen zu. Wir alle wussten, dass die Brünette mit den grünen Augen erneut versuchen würde zu fliehen. Ich unternahm nichts. Stattdessen saß ich mit den Anderen im Versammlungshaus und beobachtete beide aus dem Fenster. Einige von uns schlossen Wetten ab, während ich seelenruhig aus meinem Kaffee schlurfte. Kaffee war hier Gold wert und ich erlaubte mir den Genuss hin und wieder mal, um dem Schlaf auszuweichen.

»Zwei Brotkarten dafür, dass sie es nicht einmal bis zum Waldrand schafft.«, warf einer belustigt ein, als wir mitansahen wie sie versuchte das andere Mädchen zu überreden.

Schon bevor ich ihr Kopfschütteln registrierte, wusste ich, dass sie es abschlagen würde. Man konnte schon auf dem ersten Blick sehen wer den Mut dazu hatte und wer nicht.

»Ach komm, ich wette noch eine Essenskarte darauf, dass sie es wenigstens in den Wald schafft.«, kicherte Melody.

»Ich gebe ihr acht Schritte, dann wird sie von Pherb aufgeholt.«, bestritt Drake belustigt.

Auch mich amüsierte das Ganze ein wenig. Von hier aus sah ich, wie sie die Umgebung genauer betrachtete. Ja, sie checkte jeden Farblosen in ihrer Nähe ab und fixierte ihre Augen schließlich auf die dichten Bäume. Dorthin? Ernsthaft? Enttäuscht schüttelte ich den Kopf. Ich dachte sie wäre schlauer als das. Wie wollte sie sich im Wald orientieren und vor ins fliehen, wenn wir doch quasi da aufwuchsen?

Erwartungsvoll verschränkte ich die Arme und wartete gespannt ab. Die anderen hatten sich inzwischen zu mir gesellt und starrten sie genauso neugierig an. Und dann geschah es. Sie sprintete los. Meine Leute hielten die Luft an, als die Violette uns mit ihrem schnellen Tempo und ihren geschickt gesetzten Schritten überraschte. Fast hätte ich die anderen los gepfiffen, um sie zu stoppen, aber plötzlich stolperte sie über ihre eigenen Füße und landete unsanft auf allen Vieren.

»Ooooouuh!«, zogen alle scharf die Luft ein. »So... so knapp!«, sagte Matt mitfühlend und hielt sich geschockt den Mund.

»Wer hätte gedacht, dass sie sich selbst ausknockt?«, murmelte ich schmunzelnd und nahm einen weiteren Schluck aus meiner Tasse.

Selbst aus dieser Entfernung konnte ich sehen, wie ihr ganzer Körper zitterte. Ihre Schultern zuckten auffällig. Sie weinte. Seufzend stellte ich meine Tasse auf dem Tisch ab. »Ich kümmere mich darum, dass sie nie wieder eine solche Dummheit wiederholt. Ihr fragt schon mal die Andere ab. Aber« Ich sah alle eindringlich an. »behandelt sie nett. Immerhin hat sie bis jetzt nichts Falsches getan oder gegen meine Regeln verstoßen. Die Andere hingegen darf nicht nett behandelt werden, verstanden?«

Es war wichtig, dass sie dies befolgten, weil beide kapieren mussten, dass sie nur dann verschont blieben, wenn sie kooperierten. Ansonsten... Nun ja, hoffentlich kam es nicht so weit.

Nach diesen Worten lief ich nach draußen und gesellte mich zum Kreis, der sich um die Violette gebildet hatte. Direkt vor ihren Füßen kam ich zum Stehen und setzte eine wütende Miene auf obwohl ich es lächerlich fand.

»Was macht sie hier?«, fragte ich betont zornig. »Was zur Hölle?!«

Ihre tränenverschleierten Augen blickten zu mir auf und mein Herz setzte einen Moment aus. Sofort wandte sie den Blick wieder ab. Das hatte sie sich selbst eingebrockt. Ich hatte sie gewarnt gehabt und das reichte anscheinend nicht. Dann musste ich halt nach anderen Mitteln greifen.

Zwei Leute stützten sie und führten sie ins Haus. Auf dem Weg wies ich alle an, sie in ein anderes Zimmer zu verlegen, weil ich mich höchstpersönlich um sie kümmern würde. Gesagt, getan. Als wir uns alleine im Zimmer befanden suchte sie sich natürlich das Sofa aus und überließ mir die einzige Sitzmöglichkeit auf der Couch. Sie war nicht dumm, aber unverschämt voreingenommen. Sie lebte tatsächlich in dem Glauben, dass ich ihr etwas tun würde nur weil ich ein Farbloser war. 

Immerhin war sie keine Rote, sondern eine verdammte Violette, die das Leid ertragen musste für William Night zu dienen, oder eher Sklavin zu spielen. Wäre sie eine Rote - insbesondere aus der Familie - dann sähe das Ganze natürlich anders aus. Sie würde sicher nicht bequem auf diesem Sofa sitzen können. Aber sie war eine Bürgerin und wusste wahrscheinlich nicht einmal was im Rat eigentlich vorging.

Dennoch glaubte sie den Anführern und verurteilte uns. Demütigend, aber ich hatte mich bereits daran gewöhnt. Und vielleicht war es gar nicht mal so schlecht, wenn sie sich vor mir fürchtete. Irgendwie musste ich sie ja dazu kriegen uns das zu geben was wir wollten.

Langsam setzte ich mich auf die Couch. Näher zu ihr als ihr lieb war. »Was hattest du vor?«, fragte ich in einem ruhigen Tonfall. Vorerst gab es keinen Grund laut zu werden. Und mir gefiel, wie ihre Augen groß wurden und sie ihren Kopf einzog. Der Mut hatte sie wohl verlassen. Gut.

Sie schluckte schwer. Die Tränen standen ihr noch in den Augen und die Spuren ihrer erst frisch getrockneten Tränen waren noch auf ihren rosa Wangen erkennbar. Die blutenden Hände, die aufgrund des Aufpralls aufrissen, legte sie knetend auf den Schoß und sah mich jetzt an. Ihre Augen waren zurückhaltend, aber sie hatten noch etwas Wildes an sich. Sie zeigten mir, dass dies sicherlich nicht ihr letzter Versuch bleiben würde. Innerlich seufzte ich auf. Na toll. Wir hatte eine neue Rebellin unter uns.

»Ich-«, räusperte sie sich, um ihre Stimme zu fassen. »Ich wollte weg, nachhause.« Ihre Ehrlichkeit überraschte mich, aber ich gab mein Bestes, es nicht zu zeigen.

Stattdessen nickte ich interessiert den Kopf. »Und was hatte ich dir gesagt, nicht zu tun?« Mein strenger Blick, kombiniert mit meiner immer noch ruhigen Stimme, schien sie zu verunsichern, aber auch zu beängstigen. Ihr zitternden Hände und das kleine Zucken der Schultern verrieten sie.

Wissend nickte ich. Natürlich wollte sie es nicht wiederholen, aber ich tat es: »Ich sagte, dass du nichts tun solltest, was du später bereuen könntest. Klingelt es jetzt bei dir da oben?«

Schwer schluckend nickte sie zögerlich.

Wieder nickte ich. »Bereust du es?«

Sie starrte mich an. Ich starrte zurück. Die Tränen in ihren Augen trockneten aus, ihr Grün strahlte wieder. Irgendwoher kam mir dieser herausfordernde Blick so bekannt vor. Den hatte ich schon mal gesehen, aber woher?

Bevor ich weiter grübeln konnte, wieso sie mir so bekannt vorkam, unterbrach sie mich mit ihrer Stimme: »Nein.«

Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Diesmal konnte ich es nicht verstecken. »Nein?«, fragte ich sicherheitshalber nochmal nach, um ihr eine Chance zu geben, ihre Antwort zu überdenken.

Sie nutzte diese Möglichkeit und dachte für einige Sekunden nach. Als ich dachte, sie käme wieder zu Sinnen, enttäuschte sie mich mit ihrer Antwort. »Nein.« Ihre Stimme klang fest von sich überzeugt.

In dem Moment konnte ich nicht unterscheiden, ob sie nur vorgab mutig zu sein oder ob sie es tatsächlich war. Aber egal wie es war, das konnte ich nicht durchgehen lassen. Sie musste dafür bestraft werden und ich wusste auch schon wie.

»Okay.«, erwiderte ich in die Hände klatschend. »Es wird jetzt so ablaufen. Wir gehen zu den Anderen, du triffst Bill und ihr plaudert ein bisschen. Da bekommst du deine letzte Chance, dich uns gegenüber als nützlich zu erweisen oder du wirst mit Konsequenzen rechnen müssen.« Und ich wusste auch schon wie, aber wenn sie wirklich schlau war, würde sie Bill alles erzählen, was er wissen wollte.

Ihr stockte der Atem und ihre Augen wurden ganz groß. »W-Welche Konsequenzen?«, stotterte sie auf einmal angsterfüllt. Ihre Angst und ihre Vorurteile gegenüber uns musste ich jetzt ausnutzen.

»Du kannst dir doch bestimmt vorstellen, wie Farblose so drauf sind.« Ich musste mir ein Grinsen unterdrücken, als ich bemerkte, dass es half.

Ängstlich schüttelte sie den Kopf. »I-Ich- Nein«, riss sie die Augen auf. »Ich weiß doch gar nichts! Ich meine... ich könnte euch den Alltag der Arbeiter in der Villa erzählen, aber ich bin mir sicher, dass es nicht das ist was ihr wollt!«

Ein Gefühl verriet mir, dass sie uns mehr verraten konnte, als wir ursprünglich wollten.

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWhere stories live. Discover now