1 - Lisalvor

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Silberne Nebelschwaden durchzogen den Hafen und verschleierten die einzelnen Schiffe, die träge und plump am frühen Morgen einliefen. Das Wasser schlug leise plätschernd gegen die hohlen Rümpfe, die Rufe der Arbeiter am Kai gedämpft und müde in der Ferne. Erste Sonnenstrahlen brachen sich im Nebel und färbten ihn fleckig und ungesund.

Asifa betrachtete die einlaufenden Schiffe lautlos, den Blick fest auf den engen Hafeneingang gerichtet. Sie wusste längst, dass sie heute genauso wenig finden würde, wonach sie suchten, wie in den letzten Wochen und Monaten, aber ihre wissenden Träume schmeckten abgestanden und modrig in den engen Gassen der Stadt und sie zog es vor, sich mit ihren wachenden Sinnen zu vergewissern.

Sie wartete, bis die Schiffe unter knappen Anweisungen vertaut waren und die Anker legten, bevor sie sich seufzend ausrichtete und den Stapel leerer Kisten hinab kletterte, von deren Spitze sie Ausschau gehalten hatte. Hinter ihr klangen gedämpfte Tatzen auf Holz, als auch Tizita aufsprang, die zwischen den Kisten gedöst und auf ihre Herrin gewartet hatte. Asifa streckte die Hand leicht aus und strich ihr über das Fell, bevor die Leopardin an ihr vorbei sprang.

Die Köpfe der Hafenarbeiter hoben sich kaum, als Asifa und Tizita an ihnen vorbei kamen. Sie waren den Anblick längst gewohnt und hatten ihn akzeptiert – oder waren von Asifa dazu überredet worden, ihn zu akzeptieren. In jedem Fall war sie froh über das allgemeine Desinteresse. Es spiegelte wieder, wie sie selbst sich fühlte nach viel zu vielen grauen, nebeligen Morgen wie diesem.

Sie fand den Hafenmeister ganz am Ende des breiten Anlegesteges, wo er den Arbeitern mit donnernder Stimme Anweisungen zubrüllte, während sie hastig Truhen und Fässer von einem bauchigen Handelsschiff brachten. Er war ein breitschultriger, großer Mann, aber als er sich umdrehte und Tizita neben ihr erblickte, zuckte er trotzdem zusammen. Die Leopardin grollte leise und Asifa verkniff sich das Lächeln.

„Was gab es heute?", fragte sie, ohne ihn zu begrüßen. Sie hatte keine Energie für Höflichkeiten und am Hafen erwartete es ohnehin niemand von ihr.

„Nur die üblichen Händler", antwortete der Hafenmeister und warf einen kurzen Blick zu Tizita hin, die sich abwartend neben dem Stegrand niedergelassen hatte und ihren Schwanz gegen das Holz peitschen ließ. „Ein kleiner Segler aus dem Norden mit einem Kurier des Mitternachtslandes, der über Handelsbeziehungen verhandeln will."

Asifa ließ den Blick einen Augenblick länger auf ihm ruhen, als es nötig gewesen war. Sie genoss, wie er ihr auswich, unangenehm berührt, aber die Freude hielt nie lange an. Als einer der Arbeiter stolperte und beinahe eine Kiste in den Hafen hätte fallen lassen, drehte er sich um und brüllte lauter und heiserer als vorher und sie wandte sich ab, ohne ein Wort des Abschieds oder Dankes. Es war jeden Morgen das Gleiche, der gleiche Trott, die gleiche Ergebnislosigkeit. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann wären sie schon vor Wochen weitergezogen – aber es ging nicht nach ihr. Natürlich nicht.

Am Eingang des Hafens wartete Yusuf bereits auf sie und sah sie mit erhobenen Augenbrauen an.

„Nichts", antwortete sie auf seine lautlose Frage und er nickte knapp. Trotzdem blieb er stehen, als erwartete er, dass sie ihm mehr sagen könnte, wenn er ihr nur Zeit gab und Asifa seufzte leise. Er trug seinen Turban noch immer mit Stolz und vor dem Hafen hatten sich die geschäftigen Stadtbewohner noch immer nicht an den fremden Anblick gewöhnt, sodass leises Tuscheln und neugierig umgewandte Köpfe sie umgaben. Tizitas Ohren zuckten in die Richtungen, aus denen das Flüstern kam, bereit, den Stadtleuten jederzeit einen Schrecken einzujagen, wenn Asifa es wünschte.

Sie war versucht, aber die Aufregung war es nicht wert.

„Ich werde es wieder in der Taverne versuchen", sagte sie schließlich. „Valentia meinte, ein paar der neuen Gäste wären vielleicht interessant für uns."

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now