14 - Prinz Cristian

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Sie hätte Willehad nicht allein lassen sollen. Elwa wurde sich immer sicherer, je weiter sie sich von der Bibliothek entfernte, aber der Diener, der sie in den Gängen gefunden hatte, schien mehr als darauf bedacht, sie rasch zu ihren Gemächern zurückzuführen und allein würde sie nicht mehr zurückfinden.

Etwas an der Frau war seltsam gewesen, etwas an ihrer Art ... falsch. Elwa verstand wohl, dass sie Willehad die Bibliothek gezeigt hatte und ihnen bisher keinen Grund gegeben hatte, ihr zu misstrauen, aber sie war sich trotzdem nicht sicher, ob der Jötmarker Prinz bei ihr in guten Händen war. Dann wiederum ... er war ein junger, ungebundener Prinz und sie offensichtlich von gutem Hause. Vielleicht war er auf der Suche nach einer guten Partie für sich – das Leben würde weitergehen, wenn sie Samirs Freund von den Toten zurückgeholt hatten.

Vielleicht sollte sie sich langsam darauf vorbereiten. Aber sie hatte keine Ahnung, was danach auf sie wartete. Was sie tun wollte. Ob sie nach Ilreth zurückkehren würde, sich darauf vorbereiten, nach ihren Eltern die Krone zu übernehmen ... Allein schon der Gedanke verursachte ihr Übelkeit. Sie hatte so wenig wie möglich an ihre Heimat gedacht, seit sie unterwegs waren, unendlich dankbar dafür, sie endlich hinter sich zu lassen nach den Jahrzehnten allein im Schloss. Ein Jahr war lange nicht genug Abstand. Sie könnte weiterreisen, allein. Das Mittagsland besuchen, oder das Mitternachtsland. Die Welt sehen.

Aber eine Wirklichkeit, in der sie frohen Mutes auf solche Reisen aufbrach, schien ihr so wenig greifbar wie es die ganze Welt während der Dornen gewesen war. Zukunft war noch nie etwas gewesen, über das sie sich nachzudenken erlaubt hatte. So wie das Ende ihrer Mission.

Sie stockte mitten im Gang und der Diener wandte sich ungeduldig zu ihr um.

„Gibt es ein Problem, werte Dame?", fragte er höflich, aber mit einem schneidenden Unterton. Sie wollte umkehren. Wenigstens konnte sie sich in Willehads Anwesenheit auf ihn und seinen Umgang mit der fremden Adeligen konzentrieren, so unangenehm die Situation auch sein würde.

Doch bevor sie den Diener dazu überreden konnte, sie den ganzen verschlungenen Weg zurück nach unten zu führen, hechtete ihnen eine weitere Dienerin entgegen.

„Prinzessin!", rief sie, noch bevor sie sie erreicht hatte. „Der König schickt mich. Er lässt Euch bitten, mit ihm das Mittagsmahl einzunehmen."

Der Diener, der Elwa geführt hatte, trat ihr entgegen und für einen Moment steckten sie die Köpfe zusammen. Dann nickte er, verbeugte sich tief vor Elwa und entschuldigte sich.

„Ich soll dafür sorgen, dass Ihr jegliche Hilfe bei der Vorbereitung bekommt", sagte die Dienerin. „Zwei der Zofen warten in Euren Gemächern, das Bad ist bereits eingelassen."

Elwa musste sich dazu zwingen, nicht allzu überrumpelt zu wirken. Ganz blass erinnerte sie sich daran, dass es einmal so funktioniert hatte – Diener, die ihr mit jedem Schritt zur Seite standen, ihr beim Bad und beim Einkleiden halfen. Allein auf dem Schloss hatte sie so lange für sich selbst gesorgt, dass sie sich allein schon bei der Vorstellung versteifte, plötzlich nicht mehr ihre Privatsphäre bei allem zu haben. Gestern hatte ihr zwar eine Dienerin dabei geholfen, ihre Sachen in den Gemächern zu verräumen und Marisol hatte ihr erneut in Erinnerung gerufen, dass sie als Prinzessin jemand war, der umsorgt wurde, aber es war etwas anderes, gleich drei fremde Frauen in der Nähe zu haben, die ihr jeden Handgriff abzunehmen suchten und ihren direkten Blick vermieden, fest auf ihren eigenen Stand bedacht.

Erst, als sie das ungewohnt prächtige Kleid sah, dass sie ihr gebracht hatten und das sie ganz bestimmt nicht mit ihrem eigenen Gepäck gebracht hatte, wurde ihr bewusst, wofür der ganze Aufwand überhaupt betrieben wurde.

Dornen - Das Königreich in FlammenWhere stories live. Discover now